Rezension: Im Sechsten Arm

Dr. Helmuth Schönauer – 07/11/2005
Germanist, Rezensent, Autor, Universität Innsbruck

Es gibt Jahre, die dicht sind. Und es gibt Jahre, die durchlässig sind. Immer wieder läutet diese Weisheit der Chronisten ein neues Kapitel in der Lebensgeschichte eines zum Katholizismus konvertierten Vinschgers ein. Salomon Glauber hat in der Identitätsleere Südtirols nach 1918, als das Land zwischen Koma, Saint Germain, Italien und verblichener Habsburger Monarchie zu verschwinden droht, seine Konfession gewechselt, der Liebe willen. Als Jude ist er Katholik geworden, obwohl das irgendwie nicht geht, und auch Südtirol ist italienisch geworden, was scheinbar auch nicht geht.
Hans Perting erzählt episch weitläufig und dennoch in kurzen atemlosen Sätzen, wie es die Glaubers durch Italien treibt, jedes Jahr in eine andere Stadt, mal dem Reishandel hinterher jagend, mal der Hungersnot vorauseilend. Die Sätze gleichen dabei Aufschriften oder Menetekels. Egal, ob Beschreibung, Bericht oder Zitat, in schroffem Satzbruch wird der Roman atemlos zu Ende erzählt. Der Sohn Salomons wird in die Zeitgeschichte des Duce verwickelt. Als die Juden Italiens deportiert werden, kommt auch er noch dran und wird im berüchtigten „sechsten Arm“ des Gefängnisses in Rom eingekerkert, dort wo die „Politischen“ und Querdenker einsitzen. Der Schluss bleibt offen wie ein Projektil, das gerade den Gewehrlauf verlassen hat.

In einer Nachbemerkung erzählt Hans Perting den Zusammenhang zwischen Roman und jenen Fakts, die er erzählt bekommen hat. Das Schicksal der Glaubers ist authentisch auf konkrete Geschehnisse bezogen, andererseits repräsentieren die Glaubers auch jenes Südtirol, das hastig durch die Zeitwallungen driftet.

Ein Glossar und jede Menge Fußnoten verknoten die Fiktion beinahe reibungslos mit lexikalischen Fakts. Erzähltechnisch interessant ist der Spielraum zwischen Meinung der Figuren und Meinung des Kommentators in den Fußnoten. Da wird etwa Papst Pius XII in einem Kommentar aus der
Hüfte heftig gelobt (269), weil er trotz der Deportation der Juden 4500 von ihnen in Klöstern rund um Rom verstecken ließ. Diese Fußkommentare sind eine interessante Möglichkeit, Meinung diskret zu platzieren. Andererseits erfahren scheinbar triviale Begebenheiten eine religiöse Würdigung, indem sie mit Zitaten aus jüdischem oder katholischem Glaubensschatz unterlegt werden. „Die Jugend nährt sich von Träumen. Das Alter von Erinnerungen.“(98) Im Jiddischen klingt es dann noch wahrer und glaubhafter und passt an jeder Stelle.

Hans Perting: Im Sechsten Arm. Roman.
Brixen: Provinz Verlag 2005. 232 Seiten.
EUR 16,30. ISBN 88-88118-25-X.
Hans Perting, geb. 1963, lebt in Mals.

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Dr. P. BRUNO KLAMMER, Theologe und Germanist
(September 2005)

„Mit dem „Sechsten Arm“ legt der Autor Hans Perting einen weiteren Roman vor. Das Werk ist in einem klaren und sehr lesbaren Stil geschrieben.
Faszinierend ist sowohl die gekonnte Sprachführung, als auch der Inhalt. Den Erzählstrang dieses Romans bildet die Geschichte der jüdischen Familie Glauber in Italien (Salomon Glauber mit Maria Theiner, einer Vintschgerin, katholisch verheiratet), und die einzelnen Handlungsträger präsentieren sich wie Perspektiven der dargestellten Verhältnisse.
Der Hintergrund dieses Werkes gestaltet Weltthematik. Die Ereignisse um Nationalsozialismus, Judentum und Faschismus in Italien. Das Buch liest sich wie ein Manifest der Toleranz gegen Vorurteile, Rassenideologie und die verhängnisvollen Imperative der Macht.
Das Buch ist auch in Analogie und als geheimer Vergleich mit den Strömungen unserer Tage zu lesen, da Fundamentalismen, radikale Ideologien, Gefühle der Ressentiments wieder im Wachsen begriffen sind.
Dies ist keine Ethik im trockenen Stil der Lehre, sondern es ist spannende Erzählethik unserer Zeit.“


 

Mag. CLAUDIA THEINER
(September 2005)

Burgeis und die große Welt. Christentum, Judentum. Die Muster des Lebens. Das Ringen um Wahrhaftigkeit konzentriert der Autor in der Figur des jungen Johann Anton Glauber, vor dem Hintergrund von NS und Faschismus. Mit der Überzeugungskraft der rituellen Erzählweise. Ohne Floskel und Schnörkel, in spartanisch reduzierten Textsequenzen verdichtet Hans Perting die Dimension des Handelns, die festgemacht ist in so ursprünglichen Motiven wie Glaube, Verlockung, Verstrickung.

Mag. CLAUDIA THEINER
(Januar 2006)

In der Zeit dieser Zeiten.
In den beschwörenden Wiederholungen liegt der Charme der Sprache. Wie im Echo kommen die Worte zurück – schwebend, überirdisch, ritualhaft skandiert manchmal. Im Gegensatz dazu nimmt der durchgehend bildhafte Schlusssatz der Kapitel die konkrete profane Alltäglichkeit auf. Bald wird man der Kraft der wenigen Worte gewahr, die stark genug sind, eine Handlung zu tragen, der die Formen des verantwortungsvollen Handelns und Denkens eingeschrieben sind und die auch in der heiklen Ausarbeitung der Gegensätze Mann-Frau, Christ-Jude, Politik-Kirche zum Tragen kommen. Der Antrieb ist die Liebe zum Leben, in der ganzen Tragweite.
In den Plot um Nationalsozialismus, Faschismus und Judentum packt Perting einen fundierten Diskurs, womit er Erinnerung stiftet an Menschen der jüngeren Vergangenheit. Die Geschichte des einzelnen soll gerettet werden, „Im Sechsten Arm“ ist Literatur und Dokumentation. Es geht darum, sagt der Autor im Vor&Nachwort, „dass Menschen allein aufgrund ihrer Rassen-, Religions- oder Politikzugehörigkeit diskriminiert und letztlich vernichtet worden sind“.
Maria Theiner, die katholische Bauerntochter aus Burgeis, wird die Frau des jüdischen Kaufmannes Salomon Glauber aus Meran, und das Paar führt das Leben aus der Verpflichtung gegenüber den Konventionen heraus, mütterlich die eine, geschäftstüchtig der andere. Wie in seinen anderen Werken auch, folgt Perting dem literarischen Grundsatz, die Zu-fälle, das Geschick, das einem zu-fällt, konsequent auszuleuchten und damit das individuelle Lebensbild zu nuancieren – moralisch, sinnlich, erzählerisch. „Wer sind wir“, fragt der junge Glauber den Vater, „was handelst du, und warum hast du Mutter geheiratet?“ Denn Johann Anton wächst als „holbwalscher Juud“ auf, und seine Mutter hat optiert, bevor die politische Option über das Land hereingebrochen ist. Optiert für ihren Mann, mit dem sie nach Siena, Florenz, Genua zieht, “fast jedes Jahr irgendwo anders“ hin. Den Ernst der politischen Lage verkennend, glaubt der konvertierte Jude Salomon Glauber „unantastbar“ zu sein, und der Autor weist dem Sohn die Rolle zu, Sinnkrise und zeitgeschichtlichen Zu-fall zu meistern, über den „Sechsten Arm“ des römischen Gefängnisses hinaus. Den Vetter Jakub stellt er ihm zur Seite, er ist so etwas wie der Katalysator im Drama der Zeit. Seine jiddischen Sprüche, einmal augenzwinkernd, einmal höchst ernst die Situationen kommentierend, weiten den Horizont des Romans. Und sie begleiten den jungen Glauber, Medizinstudent, Pazifist und eben Partisan aus Zu-fall, bis zum Schluss, welcher auf einen rigorosen Brennpunkt hin konzentriert ist: Wer steht dem jungen Glauber gegenüber, wenn er schießt?
Den Gewissenskonflikt seines Helden zeigt der Autor in großer Dichte, er lässt ihn im grandiosen Finale einen bewegenden personalen Existenzkampf durchstehen und Hans Perting präsentiert einen überzeugenden Schluss, der einen betroffen zurücklässt.


Dr. Brunner Kapeller Michaela,
Germanistin

Das Fesselnde am neuesten Roman von Hans Perting „Im Sechsten Arm“, erschienen im Provinz Verlag, ist das Thema selbst, nämlich die Verarbeitung der jüngeren Zeitgeschichte Südtirols. Sehr gut recherchiert, bleibt es doch allemal ein komplexes und schwieriges Thema.
Der Geschichte selbst liegt eine einfache lineare Erzählstruktur zugrunde, die in Kapitel 132 abrupt endet. Als Hauptfigur fungiert J.A. Glauber, Sohn eines jüdischen Händlers aus Meran und einer Bauerntochter aus Burgeis, der in der Zeit des wachsenden Faschismus in Oberitalien aufwächst. Eine schwere Zeit, die geprägt ist von zunehmender Angst, Willkür und Verfolgung. Themen wie Judentum und deren Vernichtung, Folter, Option, Ausbruch des 2.Weltkrieges, Stellung der Kirche, Partisanenkämpfe,.. werden angerissen und zur Sprache gebracht.
Analog dazu verdichtet sich die Lebensgeschichte des Protagonisten, die verwirrend und aussichtslos erscheint, – Johann Anton Glauber aber findet seinen Weg.
In einem 2. Moment fließen zwischenmenschliche Werte wie Freundschaft, Liebe, Glaube, Treue und Kameradschaft in die Erzählung ein. Sie bestimmen den Verlauf der Geschichte auf ihre Weise.
Die Feder von Hans Perting ist spitz. Er schreibt leicht, pointiert, mit Witz. Sein Stil ist kurz, prägnant und treffend, schmückendes Beiwerk wird weggelassen. Der Leser muss sich Zeit nehmen und er muss sich auf diese epische Erzähltechnik einlassen, sich gleichsam darin versenken. In dem Augenblick ist sie überwältigend und trifft mit voller Wucht.
Jüdische Spruchweisheiten bereichern die kurzen Kapitel. Wiederholungen und Passagen mit beschwörendem Charakter signalisieren den zwingenden Handlungsverlauf und die Unentrinnbarkeit des Schicksals.

Ich würde das Buch als gelungen bezeichnen. Es ist sehr gehaltvoll und absolut lesenswert. Besonders ans Herz legen würde ich es jungen Lesern.

Detail am Rande!
Bemerkenswert ist das Bild, das der Autor von seiner Obervinschger Heimat zeichnet, ein liebevolles Bild, das sich jedem einprägt, der den Obervinschgau betritt, und jedem bleibt, der ihn wieder verlässt.