Zivilcourage-Preis 2014

Ilse Waldthaler Stiftung - Zivilcouragepreis

Ilse Waldthaler Stiftung für Zivilcourage und soziale Verantwortung

Zivilcourage-Preis 2014

Am 24.05.2014 hat Frau Dr. Cristina Herz, Vorsitzende des Verwaltungsrates der „Stiftung Ilse Waldthaler für Zivilcourage und soziale Verantwortung“ den Zivilcourage-Preis 2014 an Herrn Dr. Johannes Fragner-Unterpertinger und dem Promotorenkomitee „für eine pestizidfreie Gemeinde Mals“ überreicht. Die Preisverleihung fand am um 10.30 Uhr im Filmclub Bozen, Streitergasse im öffentlichen Rahmen statt.

Laudatio anlässlich der Vergabe
des Zivilcourage-Preises 2014

Der Zivilcourage-Preis wird alle 2 Jahre öffentlich ausgeschrieben, heuer zum 5. Mal. Die Jury, die aus Mitgliedern des Verwaltungsrates und externen Persönlichkeiten bestand, hat die eingegangenen Nominierungen gesichtet und einen Vorschlag vorgelegt, den der Verwaltungsrat einstimmig gutgeheißen hat:

Der Zivilcourage-Preis 2014 mit dem Schwerpunkt
„Zivilcourage in Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Krise“

geht an das

Promotorenkomitee für eine pestizidfreie Gemeinde Mals
und seinem Sprecher
Dr. Johannes Fragner-Unterpertinger

Ich möchte diese Entscheidung begründen und versuchen, die Preisträger angemessen zu würdigen.

Das Malser Promotorenkomitee, das aus 72 Personen besteht, agiert nach dem alten Rechtsprinzip „Die Freiheit des Einzelnen hat ihre Grenze am Recht des Nächsten“ und setzt damit das Gemeinwohl an die erste Stelle. Die Forderung nach dem Gemeinwohl wurde letztes Jahr vom Sprecher des Promotorenkomitees in einem Mani¬fest festgehalten, das Gemeinwohl, das ganz elementare Dinge einfordert, nämlich:
• den Schutz der Gesundheit
• und als Voraussetzung dafür den fürsorglichen Umgang mit der Umwelt, mit den Lebensgrundlagen Boden, Wasser, Luft.
Unterzeichnet wurde dieses Manifest von 51 Naturwissenschaftlern, die mit Gesund¬heit zu tun haben, von Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Biologen und Apothekern des oberen Vinschgaus. Und viele Bürgerinnen und Bürger verschiedenster Berufsgruppen schlossen sich diesen Forderungen an, Mütter und Väter, Vieh- und Ackerbauern, Kindergärtnerinnen und Lehrer und Orga¬nisationen wie Hollawint, Adam & Epfl, Kornkammer Vinschgau, Umweltschutzgruppe Vinschgau, der Bund Alternativer Anbauer und Bioland.

Wieso muss im oberen Vinschgau die Gesundheit geschützt werden?

Der obere Vinschgau war ein traditionelles Weideland und es wurde Getreideanbau betrieben. Seit einigen Jahren drängt der intensive Obstanbau ins Gebiet und damit nimmt auch der Einsatz von Spritzmitteln zu, die durch den häufigen Vinschger-Wind übers Land verweht werden.
Viele Studien belegen, dass die im intensiven Obstanbau gängigsten chemisch-synthetischen Spritzmittel die Gesundheit gefährden, denn sie werden über die Haut, die Atemluft, die Nahrung und das Wasser in den Körper aufgenommen. Problematisch sind dabei die Langzeitwirkungen dieser Mittel: Sie können beispielsweise erbgut¬schädigend, hormonstörend, krebserregend wirken. Besonders sensibel reagieren Schwangere, Kinder, alte Menschen, Kranke.

Die Unterzeichner des Manifests zeigen sich verantwortlich für ihre Mitmenschen und die Umwelt: Sie schreiben, dass sie sich schuldig machen würden, wenn sie ihr Wis¬sen über diese Zusammenhänge nicht in die Öffentlichkeit bringen und nichts dage¬gen tun würden. Sie setzen sich deshalb ein für gesundheitsförderliche Alternativen im landwirtschaftlichen Anbau ohne den Einsatz von chemisch synthetischen Pestiziden und Herbiziden.
Die Initiatoren sprechen sich mit ihren Forderungen nicht grundsätzlich gegen die Landwirtschaft aus, aber gegen eine Landwirtschaft, welche eine Gefahr für die Ge-sundheit der Bürgerinnen und Bürger ist. Eine Gefahr auch für die Vielfalt der Kulturlandschaft und der Flora und Fauna, die massiv eingeschränkt werden und die jahrhundertealte, gewachsene Identität des Obervinschgaus verdrängen.
Beispielgebend sind für sie die ganz traditionellen Vieh- und Getreidebauern und die Biobauern, die mit ihren Wirtschaftsweisen niemandem schaden.

Das Verlangen nach dem Schutz der Gesundheit fordert nur das ein, was in interna¬tionalen Vereinbarungen und Erklärungen bereits verankert ist, beispielsweise in den „Allgemeinen Erklärungen der Menschenrechte“, im „UNO Menschenrechtsabkommen“ und in der „Europäischen Sozialcharta“. Dieses Recht auf Gesundheit wird allerdings nur dort Realität, wo die Menschen selbst es einfordern und sich in den konkreten Widrigkeiten des Alltags daranmachen, es umzusetzen.
Und das braucht Zivilcourage, wie wir es an diesem Malser Beispiel sehen:
Es gab und gibt viele Gegner dieser Initiative. Es gab und gibt Anfeindungen und Gewaltandrohungen gegen Mitglieder des Promotorenkomitees und v.a. gegen dessen Sprecher, Dr. Johannes Fragner-Unterpertinger. Dieser und auch das Komitee lassen sich nicht einschüchtern, sie bleiben bei ihrer fundierten Überzeugung und ih¬rem Engagement für das Gemeinwohl und suchen immer nach konstruktiven Diskussionsebenen.

Die Ilse Waldthaler Stiftung will auch ganz besonders die positive Ausdauer des Promotorenkomitees und seines Sprecher hervorheben und ihr Streben, alle BürgerInnen ihrer Gemeinde einzubeziehen:
Einen Weg für die Umsetzung der Forderungen zu finden war nicht einfach: Die gewählten Volksvertreter wollten solch „heikle“ Forderungen nicht auf parlamentarischem Wege angehen. Es blieb die Möglichkeit einer Volksabstimmung. Die Malser verdanken diese Möglichkeit einigen ihrer Mitbürgern, die sich in langwieriger Arbeit für bestmögliche Entscheidungsrechte in ihrer Gemeinde eingesetzt haben. Auch ihnen gilt unsere Anerkennung.
Das erste Ansuchen auf Volksabstimmung wurde abgelehnt. Mit viel Aufwand – es wurden auch 500 Unterstützer-Unterschriften gesammelt – wurde erneut ein Antrag gestellt, dem diesmal stattgegeben wurde: Die Malser können nun Ende Juli darüber entscheiden, ob chemisch synthetische Pestizide auf ihrem Gemeindegebiet verboten werden sollen. Dadurch haben die BürgerInnen erstmals die Chance, selbst die Gestaltung ihres Lebensraumes in die Hand zu nehmen und Verantwortung zu zeigen.
Positiv zu werten ist auch, dass durch diese Volksabstimmung die Gemeindeautonomie aufgewertet wird, was allen Malsern, auch der Gemeindeverwaltung, zugute kommt.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Volksabstimmung ist der Einbezug der BürgerInnen. Viel Öffentlichkeitsarbeit war und ist nötig, es wurden zahlreiche Diskussionen über wirtschaftliche Hintergründe und die Veränderungen des Tals geführt, über die Zusammenhänge von Pestizideinsätzen und Gesundheit, über die Verantwortung jedes Einzelnen. Viel Kleinarbeit ist für die Bewusstseinsbildung erforderlich und dafür, den Bürgern Mut zu machen, damit sie sich für die Allgemeinheit engagieren können. Hier leisten das Promotorenkomitee und sein Sprecher vorbildliche, beispielgebende Arbeit, die Zivilcourage von jedem Einzelnen erfordert, von jedem an seinem/ihren Platz. Diejenigen, die im Rampenlicht stehen, müssen mehr Mut zeigen, brauchen mehr Kraft und Zivilcourage um all den Anforderungen gerecht zu werden und den Kritiken standzuhalten.

Ich will deshalb Dr. Johannes Fragner-Unterpertinger besonders würdigen und gleichzeitig aber hervorheben, dass es der Mithilfe aller Promotorenmitglieder und dem Großteil der Bevölkerung bedurfte damit es zur einmaligen Chance der direkten demokratischen Wahlmöglichkeit gekommen ist.
Als Sprecher führt er das Promotorenkomitee mit vorbildlichem Einsatz und Ausdauer. Als Malser Apotheker ordnet er oft seine betrieblichen und persönlichen Interes-sen dem größeren Ziel, dem Wohl aller Bürger unter. Ihm ist es gelungen, die 51 Ärzte, Tierärzte, Apotheker und Biologen des Obervinschgaus für das gemeinsame Manifest zu gewinnen, das Ausgangspunkt dafür war, dass so viele Einzelbürger und Organisationen sich für diese Anliegen engagieren. Er ist auch der offizielle Ansprechpartner für die Gemeindeverwaltung zur Abwicklung der Volksabstimmung. Für all sein Engagement gilt ihm unser besonderer Respekt und Dank.

Der Schwerpunkt des heurigen Zivilcourage Preises ist die „Zivilcourage in Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Krise“. Was hat diese Obervinschger Initiative mit dieser Zielsetzung zu tun?

In der derzeitigen angespannten wirtschaftlichen Situation wird es noch deutlicher, dass die wirtschaftlichen Interessen, die möglichst schnell zu finanziellen Erfolgen führen, im Vordergrund stehen und das Gemeinwohl der kurzfristigen Profitlogik geopfert wird. Deshalb braucht es in Zeiten wie diesen mehr Courage, um für das Ge¬meinwohl einzustehen. Dies zeigt sich auch im oberen Vinschgau, wo das durchschnittliche Einkommen der Menschen tendenziell niedriger ist als anderswo im Lande, wo mehrere Hundert Menschen im benachbarten Ausland arbeiten und wo – auch wegen der Klimaerwärmung – große wirtschaftliche Veränderungen stattfinden:

Der intensive Obstbau drängt massiv in den Obervinschgau, auf Böden, die von Obstbauern aus dem mittleren und unteren Vinschgau aufgekauft wurden und weiter¬hin noch aufgekauft werden. Enorme wirtschaftliche Interessen und Grundspekulationen sind damit verbunden. Die traditionell gewachsene, klein strukturierte Vieh- und Ackerbauwirtschaft gerät zusehends in Bedrängnis, weil die Grundstückspreise und Pachtkosten steigen, für sie ist es besonders schwer, langfristig diesem Druck zu widerstehen. Von dieser Entwicklung profitieren vor allem kapitalkräftige Investoren und auswärtige Obstbauern.
Die Promotoren wollen dieser Entwicklung nicht tatenlos zuschauen und mit ihren Forderungen der allgemeinen Sorge der Malser Bevölkerung Ausdruck verleihen. Sie wollen
• eine rücksichtsvolle Koexistenz verschiedener Wirtschaftsweisen und eine vielseitige Entwicklung, durch die auch landwirtschaftliche Kleinbetriebe und Bio-Betriebe eine Zukunftschance haben.
• eine Vereinbarkeit von ökonomischer Tätigkeit mit sozialem Wohlbefinden und Gesundheit aller Mitmenschen.

Dieses verantwortungsvolle Bemühen, eine nachhaltige und damit zukunftsfähige Entwicklung zu fördern, ist auch Anliegen dieses Zivilcouragepreises, denn sie stel-lt eine besondere Qualität dar: Sie kann im Zeitalter der Globalisierung eine Stär-kung der lokalen Kreisläufe bewirken, die sich nicht nur auf die Landwirtschaft beschränkt, sondern sich auch positiv auf andere Wirtschaftszweige, wie beispielsweise der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte und dem Tourismus auswirken kann.

Ich möchte dem Promotorenkomitee und Ihnen, Herr Dr. Johannes Fragner-Unterpertinger, und allen Unterstützern Ihrer Anliegen meine Anerkennung aussprechen zu Ihrem Einsatz für das Gemeinwohl. Sie haben meinen ganzen Respekt und den der Ilse Waldthaler Stiftung für Zivilcourage und soziale Verantwortung. Mit dieser Ehrung drücken wir auch die Hoffnung aus, dass Sie weiterhin den Mut und die Kraft finden mögen, in diesem Sinne tätig zu sein.
Im Namen der Ilse Waldthaler Stiftung darf ich folgenden Personen, die stellvertretend für das Promotorenkomitee heute hier sind, den Zivilcourage-Preis 2014 überreichen:

  • Johannes Fragner-Unterpertinger, Sprecher des Promotorenkomitees, Apotheker, Verfasser des Manifestes, Mals
  • Elisabeth Viertler, Stellvertreterin im Promotorenkomitee, Ärztin, Unterzeichnerin des Manifestes, Mals
  • Edith und Robert Bernhard, Saatgut-Vermehrer, Pioniere der Artenvielfalt, Vertreter der „Kornkammer“, Träger des Ökologiepreises 2011, Burgeis
  • Martina Hellrigl, Mutter + Hausfrau, Architektin, Vertreterin der Initiativgruppe „Holla-wint“, Mals
  • Alexander Agethle, Biobauer und Vertreter von „Adam und Epfl“, Schleis
    Günther Wallnöfer, Vollerwerbs- und Biobauer, Vize-Präsident von Bioland Südtirol, Laatsch
  • Sebastian Frank, Biolandbauer aus Matsch
  • Ernst Thoma, Musiklehrer, Organist, Theaterschreiber, u.a. Komponist des „Promo-torenliedes“, Mals
  • Peter Gasser, Tierarzt, Vertreter der Umweltschutzgruppe Vinschgau und Mitunter-zeichner des „Manifestes“, Mals
  • Stefan Dietl, Biologe, Mitunterzeichner des „Manifestes“, Mals
  • Josef Gruber, Biobauer und Aktivmitglied der „Initiative für mehr Demokratie“, Schleis
  • Mara Gander, Maturantin, „Vertreterin der Jugend“, Mals
  • Friedrich Haring, Kulturschaffender, Journalist, Mediator im und vom Promotorenkomitee, Mals

Dr. Cristina Herz
Vorsitzende des Verwaltungsrates der „Ilse Waldthaler Stiftung für Zivilcourage und soziale Verantwortung“
Bozen, 24. Mai 2014