Rezension – Nussbaumer

Rezension von
Dr. Bernhard Nussbaumer

Magazin „kulturelemente“ April 05

Der Kranich - Hans PertingMythologischer Heimatroman
Hans Perting/Karl Heinz Macek: Der Kranich. Hörbuch.
Provinz-Verlag, Brixen, 2004

Vier Jahre nach dem Erscheinen der Erzählung „Der Kranich“ hat Autor Hans Perting sein bislang erfolgreichstes Werk neu aufgelegt – als Hörbuch. Mit dem Bozner Schauspieler Karl Heinz Macek als Sprecher und mit Stücken aus der Titlá-CD „stur und tamisch“ musikalisch unterlegt, ist den Produzenten ein der ursprünglichen Fassung kongeniales Hörspiel gelungen.
Pertings Texte bieten sich dem Gehör aufgrund ihrer lyrischen Grundstimmung geradezu an, dazu kommen refrainartige, beschwörende Wiederholungen und leitmotivisch eingesetzte Dingsysmbole, die der Erzählung den Charakter eines Epos in der klassischen Bedeutung verleihen.
Im Zentrum der Erzählschleifen kehrt das Motiv der Kraniche wieder, die jedes Jahr zu einer bestimmten Zeit über den zentralen Schauplatz der Ereignisse, das versteckte Hochtal im Zentrum der Alpen, fliegen und an einem versteckten Hochmoor Rast machen.

Ein geheimnisvoller Platz, zum Beispiel wie geschaffen für Begegnungen eines heimlichen Liebespaares, wie es der junge Bauernsohn Raetho Klammsteiner vom größten Hof im Talgrund und die Comtesse Sigrun von Schloss Sonnberg, am Eingang des Tales, sind. Dass ihre Liebe keine glückliche Erfüllung findet, hat mehrere Gründe: den sozialen Unterschied, die mögliche Blutsverwandtschaft, die politischen Zeitläufe, persönliche und familiäre Schicksale.
Pertings Bilderbogen ist in einem Seitental des obersten Vinschgaus, im deutschsprachig-rätoromanischen Grenzgebiet angesiedelt und durchmisst eine Zeitspanne von den zwanziger bis in die frühen sechziger Jahre. Diese Koordinaten erlauben dem Autor, ein breites Panorama an Lokalgeschichte und Wirtschaftsgeschichte einzufangen, Glauben und Aberglauben, Familienchronik und große Politik ins Bild zu nehmen.
Da ist einmal die Bauernfamilie Klammsteiner mit Raetho – der figurativen Hauptachse der Erzählung – als einzigem Sohn, der frommen, fast schon bigotten Mutter und des gutmütigem Vaters, mit dem Onkel Valentin als Erzieher und Begleiter des Buben (wenn nicht mehr); und zum anderen die Familie des Grafen Baldur von Sonnberg, mit dessen Gemahlin Melisande, dem schwachen Stammhalter Bardolf und der lieblichen Comtesse Sigrun; und da ist außerdem der Hochwürdige Herr Anton Mairösl, Pfarrer, Doktor, Lehrer, Richter und außerdem noch cavaliere und „Granfascista“ und schon von dieser schillernden Präsenz her die heimliche Hauptfigur der Geschichte. Die Beziehungen zwischen diesen Figuren werden zusammengehalten durch die Lebensweise und die Tradition der Menschen in dieser kargen Landschaft, sie werden getragen durch die gemeinsame Sorge in einer politisch unsicheren und gefährlichen Zeit, sie werden genährt durch die gemeinsamen Hoffnungen und Anstrengungen zum Aufbau einer besseren, sichereren Zukunft. Bilden die Liebesgeschichte zwischen Sigrun und Raetho sowie die dunklen Wolken des Faschismus den Spannungshintergrund des ersten Teils des Hörbuches, ist es im zweiten Teil der Krieg mit seinen Folgen, die Heimkehr des Soldaten Klammsteiner und der Wiederaufbau nach 1945. Mit den ersten nachhaltigen Projekten zur Erschließung des Tales für Wirtschaft und Tourismus, an denen der inzwischen alt gewordene – aber ledig gebliebene – Raetho Klammsteiner maßgeblichen Anteil hat, endet die Erzählung.
Autor Hans Perting schafft in den einzelnen Kapiteln sehr akribisch komponierte Miniaturen, die von einem genau recherchierten Hintergrundwissen im angeschnittenen Themenspektrum ebenso zeugen wie von der Absicht des Autors, Handlungen und Verhaltensweisen nicht einfach einander gegenüberzustellen, sondern in allem die psychologische Deutung zu suchen. Gelegentlich erstarrt die gut gemeinte Absicht zur leicht klischeehaften Pose, gerade wenn es um heikle Themen der sozialen oder politischen Geschichte und deren „korrekte“ Darstellung geht. Doch in der Figur des schon erwähnten Pfarrers Mairösl, des eigentlichen Trägers der Geschichte, verpackt der Autor sein eigentliches Credo: Pragmatismus statt Fanatismus; den Menschen helfen, ohne sich durch ideologische Trübungen beirren zu lassen, anpacken, wo es Not tut, und das alles aus einer tief empfundenen Liebe für eine ganz besondere Landschaft und ihre Menschen.
Mit dem „Kranich“ hat Hans Perting vielleicht eine neue Lesart von „Heimatliteratur“ geschaffen, weil er weder nur dokumentiert noch kritiklos verklärt oder rundum kahlschlägt, sondern vielleicht dies versucht: aus allem Gesehenen und Geschehenen die Obertöne herauszufiltern. Diesen Ansatz könnte man „mythologisch“ nennen, und er passt wunderbar in den von Perting beschriebenen Landstrich.