Rezension: Kathrin Mayr, atemlos.
„Denk ich an Deutschland in der Nacht…“ dann denke ich an die Literatur in dieser Finsternis. Vereinzelt nur Sterne am Firmament. Doch wird der Strahl der Lampe in die dunkelste Ecke gerichtet, läßt sich hin und wieder ein Schatz entdecken. Auf funkeln die Verse von Kathrin Mayr. Ihr schmales Oeuvre erschien im Südtiroler Verlag Hans Pertig/Mals:
atemlos
hineingestanzt ist der Titel in ein dunkles Umschlagrot, die Farbe eines Abendgluten über den Dolomiten. Schwer scheint so der Band in der Hand zu wiegen, gewichtiger wirken die Texte: …Taumel – Herzschlag – Augenblick – mein blaues Kleid – Nebeltore – und mein Mund trank aus Schattenlöchern… Erinnerungen heben sich.
Bekannt ist dieses Wirken auf dem Grunde der Existenzen. Und dann stehen sie, hervorgetreten aus dem Schatten:Lasker-Schüler, Trakl, Heym, Werfel. Erheben sich nicht sogar Rimbaud, George oder Pavese aus der Kraft des Werkes? Oh, nur keine Irrtümer! Dieses Dichten ist nicht nachgemacht. Ist kein Verse setzen wie… Hier wird der Auftrag des übernommenen Erbes ausgeführt. Die Macht der Wörter geordnet auf höherer Stufe nachfolgender Generationen. Einst schrien die Vorgänger nutzlose Warnungen in die längst brennende Welt. Erschütternder deshalb der Aufruhr des Gemütes, dieses Entsezen über Zustände in offiziell friedlichen Zeiten. Empfunden und geschrieben von der erst zwanzig Jahre alten Autorin aus Südtirol: “…meine kleinen Hände spielen Himmel + Hölle…“.
Längst ist dieses Spiel Ernst geworden.
M. MEINICKE
Rezension: Kathrin Mayr, atemlos.
Wie groß muss Lyrik sein, damit man sie in der Öffentlichkeit wahrnimmt? Bei Kathrin Mayr genügen neunzehn Gedichte und eine edle Federzeichnung, um einen plastischen Gedichtband in den Regalen zu platzieren. Von den neunzehn Gedichten ist die Hälfte (acht) schriftlich anerkannt, das heißt, bei diversen Sparkassen-Lyrik-Wettbewerben wurden diese Gedichte irgendwie schriftlich zur Kenntnis genommen.
Wenn man den Preisquotienten berechnet, handelt es sich um durchaus preisträchtige Lyrik. Wie aber schauen diese Gedichte im Einzelnen aus? Die Gedichte sollen etwas Edles, Konventionelles und Erbauliches vermitteln, das tun Gedichte zwar meistens, aber bei Kathrin Mayr merkt man noch die betuliche Hand auf dem Papier, mit der sie die Gedichte hingeschrieben hat, offensichtlich konnte sie diese nicht rasch genug aus der Lyrik zurückziehen.
„in den nestern verwesen die vögel“ (7) ist so eine typische Zeile, in der sich die ganze Literaturgeschichte spiegelt. Leicht morbid aber sehr heimelig verwesen da die lyrisch obligaten Vögel, und wenn man davon ausgeht, dass in der Lyrik Vögel immer Zeit bedeuten – was dann wohl erst das von den Vögeln abgeleitete Zeitwort bedeutet! – dann ergibt sich durchaus ein netter Sinn, dass die Zeit verwest.
Etwas heftiger wird diese Zeitverwesung, wenn der Raum birst, an den Mauern Eingeweide hängen und draußen der bloße Tag ist. (9) Salopper kann man einen etwas daneben gegangenen Tag wohl nicht in Strophen bringen. Das Projektstiftende Titelgedicht „atemlos“ schließlich ist ein Trakl im MP3-Format, dabei werden ja alle unhörbaren Töne weg gefiltert, damit die Sinndatei nicht zu umfangreich wird. Etwas Ähnliches dürfte die Autorin mit Trakl im Auge gehabt haben, also wieder einmal tönt eine Klage des schwarzen Himmels und „weder du noch ich / leben weiter / im atem / von gestern.“ (25).
Eine relativ passable Methode, den Tiefgang von Gedichten zu erforschen, ist deren Umwandlung in Prosa. Das Gedicht „atemlos“ freilich wird dabei zu einem ziemlich flach atmenden Satzbogen. Gute Lyrik ist absichtslos und einfach da. Wenn man sich zu fragen beginnt, warum es dieses oder jenes Gedicht in einem Buch gibt, ist das Wagnis der Drucklegung zumindest fragwürdig. Also die Autorin ist zum Zeitpunkt der Drucklegung knapp zwanzig Jahre alt, noch ist kein unverwechselbarer Stil zu erkennen. Wenn sie aber tapfer durchhält und wenn sie ein paar Jahrzehnte lang weiter schreibt, kann es durchaus sein, dass dieser Gedichtband eines Tages zur Rarität wird. Also sollte man ihn sammeln, und gelesen ist er ja auch in ein paar heftigen Atemzügen.
Helmuth Schönauer, 28-10-2004
Autor, Rezensent, Uni Innsbruck