Anton Pelinka

Beitrag von Prof. Dr. Anton Pelinka

Prof. Dr. Anton Pelinka
Universität Innsbruck


POPULISMUS IST KITSCH IST KUNST IST DEMOKRATIE ?
Beitrag zur Installation der „Betrachterfigur“ in Mals

Populismus ist nicht Demokratie, hat aber mit Demokratie zu tun. Populismus ist ein Stück Demokratie. Denn: „Dem Volk aufs Maul schauen“, das ist nicht von vornherein das Verhalten von Gegnern der Demokratie; das ist ein Verhalten, das in der Logik der Demokratie angelegt ist.

Demokratie heißt, dass die Regierten die Regierenden bestimmen, kontrollieren und ablösen können. Das bindet die Regierenden an die Regierten – das ist Demokratie. Und das provoziert die Neigung all derer, die sich um die Regierungsmacht bemühen, es den Regierten recht zu machen – auch das ist Demokratie.

Das muss nicht, das kann aber Populismus bedeuten. Wenn Populismus als die grobe Vereinfachung komplexer Probleme, als das Aufrichten von Feindbildern und die Konstruktion von Sündenböcken verstanden wird, dann ist Populismus eine der Demokratie innewohnende Versuchung – aber keine zwingende Begleiterscheinung von Demokratie.

Kitsch ist nicht Kunst, hat aber mit Kunst zu tun. Kitsch ist die Kunst, die von der Kunst nicht akzeptiert wird; die von denen, die über die Definitionsmacht verfügen, aus dem Kreis der Kunst ausgeschlossen wird. Kitsch ist missglückte Kunst.

Kunst heißt, dass – mit Zustimmung des Kunstmarktes, dessen Maßstäbe von den Definitionsmächtigen gesetzt werden – Subjektives mit einem besonderen Wert ausgestatten wird; mit einem immateriellen wie auch einem materiellen.

Was Kitsch von Kunst trennt, das ist wandelbar. Andy Warhol hätte auch in der Kategorie Kitsch landen können – und wäre es vielleicht auch, hätte er versucht, sich eine Generation früher oder auch eine Generation später auf dem Kunstmarkt zu platzieren.

Zwischen Demokratie und Populismus gibt es fließende Übergänge – wie auch zwischen Kunst und Kitsch. Populismus ist die vulgäre Version von Demokratie – und Kitsch die vulgäre Version von Kunst.

Damit kommen wir aber zu einem Dilemma: Der Vorwurf, dass etwas vulgär ist, ist kein Vorwurf, der aus der Demokratie kommt.Er kommt aus einem tendenziell elitären Bewusstsein. Vulgär, das sind die anderen; das ist vor allem die Masse – von der sich die Besseren, Reicheren, Klügeren als Minderheit immer wieder abgrenzen müssen; besser: diejenigen, die sich für die Besseren, Reicheren, Klügeren halten.

Das Betonen der Grenze zwischen Kunst und Kitsch hat ebenso wie das antipopulistische Naserümpfen etwas von dem Bedürfnis, von der Neigung an sich, nicht zur Plebs gehören zu wollen. Wer sich ständig abheben muss vom Populismus, wer immer wieder verächtlich über Kitsch redet – der (die) drückt so ein antiplebejisches Denkmuster aus, das zwar verständlich, nicht aber per se demokratisch ist.

Populismus und Kitsch sind daher auch der Aufstand der Massen gegen das Vernunft- und Geschmacksdiktat der Eliten. Dieser Aufstand produziert nur zu oft Schreckliches – vor allem in der Politik. Dort schaukelt der Populismus Vorurteile auf, schürt Fremdenfeindlichkeit, verletzt Menschenrechte.

Die negativen Folgen des Kitsches sind da vergleichsweise harmlos: Eine Unzahl von Gartenzwergen vor Einfamilienhäusern und von in Öl gemalten Hirschen über den Ehebetten – wem schadet das?

Die Abneigung gegen Kitsch und die strenge Abgrenzung zwischen Kitsch und Kunst hat vieles mit der Abneigung gegen Populismus und der strengen Abgrenzung zwischen Populismus und Demokratie zu tun: Die Minderheit der (vermeintlich) Wissenden verweist seufzend auf Unwissenheit der Mehrheit.

Diese Grenzziehungen erfüllen eine Funktion – diejenigen, die tatsächlich (im Sinne eines Mehr an Macht) oder vorgeblich Eliten sind, von denen abzutrennen, die nicht dazu gehören und auch nicht dazu gehören sollen. Die tiefe Abneigung gegen Kitsch und gegen Populismus hat auch etwas damit zu tun, dass die, die sich „oben“ wähnen, auch oben bleiben wollen – subjektiv und objektiv.

Das hat seine schlechte Seite: vordemokratische Arroganz kann sich so ein demokratisches Mäntelchen umhängen. Sehr her, nicht unser Ausschließungs- und Abgrenzungsbedürfnis ist antidemokratisch, sondern es sind die groben, rüden Begehrlichkeiten der Populisten und derer, die nicht begreifen, was der Unterschied zwischen Kunst und Kitsch ist.

Das alles hat aber auch seine gute Seite: Demokratie ist eben nicht ein ständiges Plebiszit, in dem die Tageslaune sich mit Mehrheit durchsetzt; Demokratie ist eben nicht einfach nur Mehrheitsherrschaft, sondern auch Minderheits- und Individualrechte – auf die zu vergessen aber eine spezifisch populistische Eigenheit ist. Und Kunst ist zwar nichts objektiv Vorgegebenes, sondern etwas, das durch subjektive Prozesse zur Kunst und damit zum Gegenteil des Kitsches gemacht werden kann – aber Kunst verlangt nach der Differenz, nach dem Unterschied zum Kitsch, will Kunst nicht beliebig und damit uninteressant zu werden.

Zum Glück für Demokratie und Kunst gibt es diese Unterschiede – wehe der Demokratie, wenn der populistische Affekt die Alleinherrschaft antritt. Wehe der Kunst, wenn der Kitsch zur Kunst aufsteigt.

Kitsch und Populismus gehen politisch wirksame Koalitionen ein – vor allem auch auf regionaler Ebene. Tirol liefert da ein schönes Beispiel: Die Verkitschung der Ereignisse von 1809 ist eine gute Grundlage für den Tiroler Hurra-Patriotismus, gegen den sich niemand ungestraft auflehnen darf. Andreas Hofer, der Antirevolutionär, der Anti-Freiheitskämpfer, wird zum Revolutionär, zum Freiheitskämpfer umgedeutet. Der Kampf der Tiroler Bauern gegen die von Napoleon und der Bayernherrschaft aufgezwungenen Freiheiten wurde schon einmal auch völkisch interpretiert – und heute als demokratisches Fanal gedeutet.

Wer kennt sie nicht, die Bilder von den knorrigen Kämpfern; wer kennt nicht die Darstellung des Sandwirts, der in Mantua heroisch dem Tod ins Auge sieht? Der Text der Tiroler Landeshymne ist die politische Instrumentierung dieser Umdeutung, dieser groben Vereinfachung einer historischen Wirklichkeit, die voll von Widersprüchen war.

„Kitsch as Kitsch can“ – populistisch genützt. Hofer gleicht dann Lenin, der bis vor einer halben Generation in der Zweiten Welt überall zu sehen war, in einer verkitscht- geschönten Variante letztlich vergeblich das Bedürfnis der Regierenden verkörpernd, durch tausende und abertausende Lenin-Statuen und -Bilder so etwas wie Legitimation herstellen zu können.

Lenin ist passé. Hofer ist es nicht. Lenins Verkitschung diente einer Diktatur. Der Hofer-Kitsch dient einer Demokratie – ein substantieller Unterschied, der freilich an der Parallele, der politischen Instrumentierung von Kitsch, nichts ändert.

Die schrecklichsten Diktatoren des vergangenen Jahrhunderts – Hitler, Stalin, Mao – sie alle waren große, schreckliche Vereinfacher. Sie alle waren Populisten – allerdings keine demokratischen. Sie wollten nicht, wie die Populisten in den Demokratien von heute, die Emotionen der Regierten hoch peitschen, um damit Wahlen zu gewinnen. Sie nutzen ihr – grob vereinfachtes – Weltbild, um eine Herrschaft zu stabilisieren, die mangels demokratischer Wahlen immanent ohnehin nicht gefährdet war.

Alles war der Rassenkampf, oder alles war der Klassenkampf – und was da an Konflikten nicht hineinpasste, das war ein Nebenwiderspruch. Und wer da nicht hineinpasste, der oder die wurde vernichtet. Natürlich waren die schrecklichen Vereinfacher des vorigen Jahrhunderts nicht ohne weiters austauschbar: Rassen sind Konstrukte, Klassen hingegen gibt es tatsächlich. Aber die Opfer all dieser Vereinfacher der noch jungen Vergangenheit zählten Millionen und Millionen.

Was wir daraus lernen können? Die Welt ist nicht so einfach, wie wir sie uns ersehnen. Die Politik muss sich die Zeit nehmen, diese unsere Welt in ihrer Komplexität zu verstehen. „Gut“ und „böse“ sind Kategorien – aber nicht im Sinne einer Zweiteilung der Menschheit in Gute und Böse.

Das Problem des Populismus sind nicht die populistischen Politiker. Das Problem ist die Verführbarkeit der Wählerinnen und Wähler, die sich von den einfachen Formeln mobilisieren lassen. Das beste Rezept gegen den Populismus ist die Bereitschaft der Regierten, den Populisten die Gefolgschaft zu verweigern.

Das Problem des Kitsches sind nicht die Verkäufer von Wallfahrtsreliquien und anderer Kitschartikel. Das Problem sind die Käufer von Kitsch. Das Angebot folgt der Nachfrage – wenn röhrende Hirschen und blutende Herzen gefragt sind, werden sie in Gips oder Plastik produziert und angeboten werden.

Das Problem ist letztlich die Erziehung, ist die Sozialisation. Wenn Bewusstsein und Verhalten der Wählerinnen und Wähler sich ändern, dann wird sich die Politik ändern – unter den Rahmenbedingungen unserer unvollkommenen, fehlerhaften, aber doch existenten Demokratie. Wenn diejenigen, die heute Kitsch kaufen, morgen an Kunst interessiert sind, wird sich das Angebot darauf einstellen – denn wir haben ja eine grundsätzlich funktionierende Marktwirtschaft, die auf dem Eigeninteresse der Menschen baut.

Nur: Was machen dann diejenigen, die sich von der Plebs absetzen müssen? Was bewirkt dann das Bedürfnis, nicht zur Masse gerechnet zu werden? Wir können davon ausgehen, dass dann etwas anderes zum Kitsch erklärt wird; dass dann Kunst – das, was von den Definitionsmächtigen als solche erklärt wird – neu ein- und Kitsch neu ausgegrenzt wird. Kunst ist nicht Kitsch – daher wird es Kitsch geben, solange es Kunst gibt.

Da sehen die Zukunftschancen dessen, was wir heute als Merkmal des Populismus sehen, grundsätzlich anders aus: Demokratie ohne Aggressionen gegen „die anderen“ ist vorstellbar, prinzipiell. Doch real werden wir eine solche Demokratie, in der die Versuchung zum populistischen Gestus verschwunden ist, ausgetrocknet mangels Nachfrage, leider nicht erwarten können.

Anton Pelinka