Tumbalaleika: jiddisches Liebeslied

Tumbalaleika: Text

Schtejt a bocher, schtejt un tracht,
Tracht und tracht a ganze Nacht:
Wemn zu nemn un nit farschemn?
Wemn zu nemn un nit farschemn?

Ref: Tumbala tumbala tumbalaleika,
Tumbala tumbala tumbalaleika,
Tumbalaleika, schpil balaleika,
Tumbalaleika, frejlech sol sajn.

Mejdl, mejdl, ’chwel baj dir fregn,
Woss ken wakssn, wakssn on Regn?
Wos ken brennen und nit oijfhern?
Wos ken benkn, wejnen on Trern.

Ref: Tumbala tumbala tumbalaleika,
Tumbala tumbala tumbalaleika,
Tumbalaleika, schpil balaleika,
Tumbalaleika, frejlech sol sajn.

Narischer Bocher, woss darfst du fregn.
A Schtejn ken wakssn, wakssn on Regn.
Liebe ken brennen un nit ojfhern.
A Herz ken benkn, wejnen on Trern.

Ref: Tumbala tumbala tumbalaleika,
Tumbala tumbala tumbalaleika,
Tumbalaleika, schpil balaleika,
Tumbalaleika, frejlech sol sajn.

 

ÜBERSETZUNG:

Es steht ein Jüngling, er steht und grübelt,
und grübelt und grübelt die ganze Nacht.
Wen (welches Mädchen) auswählen und
nicht die falsche Wahl treffen?

Ref: Tumbala tumbala tumbalaleika,
Tumbala tumbala tumbalaleika,
Tumbalaleika, schpil balaleika,
Tumbalaleika, frejlech sol sajn.

Mädchen, Mädchen ich will dich fragen
Was kann wachsen ohne Regen?
Was kann brennen und nicht aufhören? (d.h. ewig brennen?)
Was kann schlagen (pochen), und weinen ohne Tränen?

Ref: Tumbala tumbala tumbalaleika,
Tumbala tumbala tumbalaleika,
Tumbalaleika, schpil balaleika,
Tumbalaleika, frejlech sol sajn.

Närrischer Jüngling, was fragst du denn.
Ein Stein kann wachsen ohne Regen.
Die Liebe kann unaufhörlich brennen.
Ein Herz kann pochen, und weinen ohne Tränen.

Ref: Tumbala tumbala tumbalaleika,
Tumbala tumbala tumbalaleika,
Tumbalaleika, schpil balaleika,
Tumbalaleika, frejlech sol sajn.

Gert Gschwendtner

curriculum vitae

ja ein curriculum vitae. das ist ein schwieriges unterfangen. ist es das aneinanderreihen von sogenannten objektiven lebensdaten? ist das eine abbildung meines lebens? was sind solche objektiven daten, jene die in bürokratischen archiven und amtsstuben festgehalten sind? sicher auch diese gehören zu meinem leben. aber kann ein leser, der mich nicht kennt wirkliche erkenntnisse aus dieser datenmenge ziehen, die mit der komplexität meines lebens zu tun hat? oder macht es sinn die mir wichtigsten daten auf zu zählen? was fängt jemand damit an wenn er die weggelassenen daten nicht kennt und damit die tatsächliche gewichtung meiner auswahl nicht nachvollziehen kann. oh je schreib doch einfach das wichtigste auf. na ja aber da ist schon wieder diese unerfüllbare forderung nach dem wichtigsten. als berufssysiphos, das heisst als kunsttäter, der ich bin, ist die abbildungssprache der bürokratie ein contradiktorisches instrument. und deshalb nicht geeignet zum erfassen menschlicher bedürfnisse, wenngleich sie einen versuch darstellt objektivierungen im sinne der ratio oder besser der rationalität vor zu nehmen. die sprache der juristen ist bei gestzgebungen so ein versuch eineindeutigkeiten herzustellen. dass dies ein aussichtsloses unterfangen ist beweist schon allein der berufsstand der rechtsanwälte, die von der vieldeutigkeit der texte lebt und sich das brot mit auslegungsphantasien verdient. ja selbst die mathematik als versuch eine eineindeutige sprache zu entwickeln womit operationen im exemplarischen vergleichen möglich wurden, ist nicht erschöpfend gelungen, was schrödinger und gödel nachgewiesen haben.
ich versuche eine version.


Geboren: 1949 in Lenggries in Oberbayern

Schulbesuche:
zwischen 1956 – 1970 in Lenggries, Durnholz, Bad Tölz, Bad Reichenhall
Frühe Beschäftigung mit den Philosophien des Christentums, Chinas, des Buddhismus und des Marxismus.

Studium:
zwischen 1970 – 1974 in München an der Akademie der Bildenden Künste und an der Ludwig Maximilian Universität.
In Belgrad Studium an der Serbokroatischen Universität.

1973 Heirat mit Ruth Gschwendtner

1974 – 1976 Referendariat in München und Hohenschwangau
Intensivere Beschäftigung mit dem Buddhismus

1976 Geburt des Sohnes Lenz

1976 – 1982
Betreiben eines Keramikgeschäftes in Füssen
Kunsterzieher in Dillingen an der Donau
Vorlesungen an der Lehrerfortbildungsakademie für Lehrerinnen und Lehrer höherer Schulen Bayerns

Künstlerische Arbeit:
Entwicklung eines „abstrakten Realismus“ in der Beschäftigung mit Tannennadeln
Beschäftigung mit experimentellen Texten und ihre Integration in Bildgefüge „Textfelder im Sinne der konkreten Poesie“

1980 Geburt des Sohnes Jodok

1982 – 1986: künstlerische Arbeit:
Beschäftigung mit den Werken von Joseph Beuys und den Arbeiten der Fluxus Mitglieder, sowie den Philosophien der radikalen Konstruktivisten.

1982
Beim internationalen Holzsymposion eine „Gedankenbrücke“ mit ca. 15 m Spannweite installiert.
In Bozen (Vogelweiderhaus) eine Jurte mit lebensgroßer Fatschenpuppe aufgestellt / begehbare Bilder
Weitere intensive Beschäftigung mit dem Buddhismus und Bindung an das Zentrum Letzehof in Feldkirch (Mitarbeit)

1983
In Salzburg (Trakelhaus) begehbare Zeltbilder aufgeschlagen

1985
In Dillingen an der Donau und im Allgäu „Sysiphos dem Lächler“ ein Tannennadeldenkmal gesetzt (ZDF – Doku)
Die Betrachterfigur aus den Gedanken von Marcel Duchamp heraus entwickelt
Starke Mitarbeit in der Verhinderung der Markt orientierten verantwortungslosen Nutzung der Atomenergie
Immer stärkere Repressionen durch staatliche Institutionen und Erwägen eines Verlassens Bayerns
Teilnahme an der „Friedensbiennale“ von Robert Filiuo

1986
Mit Künstlern der DDR im Erzgebirge 40 Bäume „wiederbegrünt“ (die DDR verhinderte eine Veröffentlichung)
Übersiedlung nach Feldkirch
Mitarbeit am Theater am Saumarkt

1987
In Feldkirch zwei Häufen Kompostmoderne im Rahmen der Ausstellung „konservative Kunst“ errichtet

1988
In München in der Galerie „Kunst und Kommunikation“ Schwellen in den Weg gelegt
Im Val Sugana bei Arte Sella mit „Betrachterfiguren gefragt … oh welche Natur“

1989
In den Schweizer Bergen eine Gipfelkonferenz mit Betrachterfiguren und Betrachtern abgehalten (ORF Doku und Einbezug der Tagesnachrichten)

1991
Im Ötztal (Symposion „Kunst und Poesie in den Alpen“) „Horcher“ aufgestellt
Im Appenzell ( 700 Jahre Schweiz ) auf Einladung des Kantons halbblinde Betrachterfiguren aus der Turmstube von Heiden in die vier Himmelsrichtungen schauen lassen
In Kärnten zur Intart – Biennale mit vielen Betrachtern einen „Grenzweg“ beschritten

1992
Ein Pumpwerk (Solewasserbrunnen mit Betrachterfiguren) in Frastanz in der Raiffeisenkasse eingebaut
Im Saminatal einen Kunstwanderweg mit Betrachterfiguren inszeniert (ORF Doku) Gipfelkreuz – Verhängungen mit Betrachterfiguren (in Zusammenarbeit mit Tony Kleinlercher)

1993
Zwischen Vorarlberg und Appenzell 80 Betrachterfiguren angebracht und mit Kunstwanderern deren Texte abgelesen und
In Heiden Wilhelm Tell entlarvt als Kitschimport und Henri Dunant als eigentlichen tragischen Held der Schweiz erklärt
Im Spital in Heiden gläserne Ballonflieger zum Schweben gebracht und Fernrohre dazu installiert ( Kunst am Bau )

1994
Im ORF – Gebäude Dornbirn einen Rastplatz auf der Datenautobahn installiert
Vor der Münchner Feldherrnhalle 2000 menschenhohe und kopfgrosse Gasballone in Appellordnung antreten lassen und durch Schnitt mit der Schere in den Himmel auffahren lassen

1995
In Amriswil/Thurgau den Platz vor einer Alterssiedlung mit beschrifteten Betrachterfiguren vorbevölkert
Im Goethe – Institut Moskau 60 Betrachterfiguren und ihre beschrifteten Schatten werfen lassen, und zwei Leseperformances in Moskau mit Musik inszeniert (Auftrag der BRDeutschland aus Anlass des 50jährigen Kriegsendes)

1996
„Imaginäre Gärten“ Installation zur Gartenbauausstellung in Bad Kissingen
Arbeit auf der Insel Chios (Vorarlberg-Stipendium) mit Abschlussperformance in der ganzen Stadt
„Die Paradiesgärten der Wissenschaft“ Installation im botanischen Garten Bern

1997
Aktion „Fluchthelfer“ auf der Bahnstrecke Feldkirch – Buchs für Amnesty International
(Gruppen Feldkirch, Sargans, Rohrschach)

1998
„Eine Stimme für die Menschenrechte“ eine Aktion für Amnesty International: Zusammenarbeit einer Landesregierung mit einer NGO
Vorträge zur Kunstgeschichte des 20. Jhrdts. und Workshops für indische Künstler (Goetheinstitut Kalkutta)

1999
Performance in Moskau mit Dimitri Prigov, Lew Rubinstejn, Sergej Letow, (Einladung Russisches Kulturministerium und Goetheinstitut) „Mygo trifft Mypu“ zum Goethe-Puschkin-Jahr

2000
Installation für das Friedensmuseum Lindau

2001
Lehrplan erstellt für die Berufsmaturaschule Vaduz im Bereich „Gestalten“
Unterricht in der BMS
Ausbruch einer schweren Krankheit seither Arbeit nur noch eingeschränkt möglich
Atelier in Triesenberg (FL)
Beginn des Projektes Tivoli in Meran

2002
Berufung an die Hochschule Vaduz (Kunstgeschichte 20. Jhdt, bildnerisches Gestalten für Architekten)
Kailash Schnittpunkt und Wirklichkeiten im Engländerbau Vaduz
BMS Unterricht

2003
Aushilfe am Gymnasium Vaduz
Installation „Utopie:Verlust“
Schichtwechsel Vaduz
Scheidung

2004
Beginn des Hochwaldlabors
Startperformance auf dem Staubern
Zusätzliche Vorlesungen (Sozialkonzepte, Ästhetik) an der Hochschule Vaduz

2005
Hochschule Vaduz, Gymnasium Vaduz,
Kunstschule Liechtenstein
Berufung an die Universität Innsbruck / Architektur

2006
Schaffung und Installation Betrachterfigur für den Fröhlichturm zu Mals, gemeinsam mit Hans Perting und Anton Pelinka

 

Einweihung Betrachterfigur

„ Zwischen Demokratie und Populismus gibt es fließende
Übergänge – wie auch zwischen Kunst und Kitsch.
Populismus ist die vulgäre Version von Demokratie – und
Kitsch die vulgäre Version von Kunst.“

Prof. Dr. Anton Pelinka

HERZLICHE EINLADUNG
zur
BEGRÜSSUNG und EINWEIHUNG der

„BETRACHTERFIGUR“

auf dem Fröhlichsturm von Mals

Der Künstler Gert Gschwendtner (Dozent für „Kunstgeschichte, Ästhetik und Wahrnehmung“ an der Hochschule für Architektur in Vaduz [FL]) hat, eigens für den Fröhlichsturm zu Mals, eine so genannte „Betrachterfigur“ entworfen und in Bronze gegossen.

Prof. Dr. Anton Pelinka (Professor für Politikwissenschaften an der Universität in Innsbruck und Budapest) hat, zum Anlass der Installation der „Betrachterfigur“, einen Textbeitrag zum politischen Populismus verfasst, da der „Betrachter“ fürderhin die dramatische Form des Kitsches (und jenen des Populismus) im Oberen Vinschgau beobachten und aufzeigen soll.

Am Samstag, den 9. September 2006,
mit Beginn um 16:00 Uhr

begrüßen wir auf dem Fröhlichsturm in Mals die „Betrachterfigur“ und feiern, zu Harfenklängen von Gernot Niederfriniger, ein kleines Einweihungsfest.

In der Hoffnung euch zahlreich am Samstagnachmittag begrüßen zu dürfen verbleibt in Herzlichkeit euer

Hans Perting

„Inhaber“ der Betrachterfigur


Die Träger der Veranstaltung sind:
Hans Perting Buchwerkstatt – Der Blaue Kreis – Bildungsausschuss Mals

Sandra Stigger

Sandra Stigger - rabentochter
  • geboren 1987, mit fünf Monaten von den Eltern zu einer Pflegefamilie abgegeben.
  • Grundschule in Urbach (BRD), Realschule in Plüderhausen.
  • Im Jahr 2000 Unterbringung in einem Kinderheim.
  • 2002 Auffindung der leiblichen Eltern.
  • 2002-2003 Hotelfachschule in Meran, 2004-2005 Handelsoberschule in Mals.
  • Sandra Stigger lebt und arbeitet derzeit wieder in Urbach in Baden Württemberg.

Veröffentlichung:

  1. „rabentochter“, 2005, in der Hans-Perting-Buchwerkstatt (Lyrikbändchen)
  2. Veröffentlichung dreier Gedichte in der Lyrikanthologie „dichter-innen-lesen“, die im Jänner 2006 in der Hans-Perting-Buchwerkstatt erscheinen wird.

Biographie – Árpád Göncz

ÁRPÁD GÖNCZ

Die Zukunft ist offen undDr. Árpád Göncz
unübersichtlich.
(Zitat Árpád Göncz)

 

 

 

1922
in Budapest geboren
1940-44
Jurastudium an der Pázmány Péter Universität in Budapest, Doktor der Rechtswissenschaften
1945-47
politisches Engagement bei der Kleinlandwirtenpartei (FKLGP), Leitung der Budapester Jugendgruppe der FKLGP
1948
nach der kommunistischen Machtübernahme arbeitslos
1952-56
Studium an der Agraruniversität in Gödöllo
1956
Teilnahme an der ungarischen Revolution
1957
nach der Revolution zu lebenslanger Haft verurteilt – Zweitangeklagter im Prozeß gegen István Bibó (Staatsminister der Revolutionsregierung)
1963
Freilassung im Zuge einer Amnestie, dann freischaffender Schriftsteller und Übersetzer
1990-2000
Staatspräsident der Ungarischen Republik
Schriftsteller, Dramatiker, übersetzte bedeutende Werke der englischen und amerikanischen Literatur, u. a. J. Baldwin, E. L. Doctorow, W. Faulkner, W. Golding, E. Hemingway, J. Updike. Seine Dramen wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und international aufgeführt.
Veröffentlichungen
– 1974 Sarusok (dt. 1987 Sandalenträger) Roman
Eine Parabel über die Verurteilung und Verbrennung des Meister Nikolaus, ein Waldenser, im frühen 15. Jh.- 1979 Magyar Médea. Sarusok. Rácsok (dt. Die ungarische Medea, Sandalenträger, Gitter) Dramen
Im Mittelpunkt des Dramas „Gitter“ steht ein unnachgiebiger Dichter, der nach zehnjähriger Gefängnishaft seine Freiheit nur in der Geschlossenheit der Irrenanstalt bewahren kann. „Sandalenträger“ ist die Bühnenfassung des gleichnamigen Romans aus dem Jahr 1974. Das Monodrama „Die ungarische Medea“ dramatisiert das Schicksal einer Frau, die von ihrem Mann verlassen wurde, sich jedoch nicht von den Erinnerungen an ihn befreien konnte.- 1980 Találkozások (dt. Die Begegnungen) Erzählungen- 1990 Mérleg (dt. Bilanz) sechs Dramen
Die Dramen verbindet das gemeinsame Thema: die Folgen des Kommunismus auf das Einzelindividuum.

– 1992 Bilanz Premiere im Volkstheater in Wien in der Inszenierung von Erich Margo
Bilanz dramatisiert die Wiederbegegnung eines Liebespaares nach 30 Jahren, das sich nach den Ereignissen 1956 trennte, weil die Frau nach Amerika ging. Die Frage des Stückes – wer verhielt sich in der gegebenen politischen Situation (moralisch) richtig – bleibt unbeantwortet. „Als Saldo ergibt sich: Schuld, wohin man blickt.“ (Wolfgang Freitag, Kurier, 18. 10. 1992)

– 1991 Hazatérés (dt. Heimkehr) Erzählungen

– 1993 Gyaluforgács (dt. Hobelspan) Essays, Aufzeichnungen, Interviews

– 1993 Az örökség (dt. Die Erbschaft) Prosa

– 1994 Beszélgetések az elnökkel (Zwiesprache mit dem Präsidenten) Gesprächspartner István Wisinger

– 1996 Ko a kövön (dt. Stein auf Stein) ausgewählte Schriften

– 1998 Sodrásban (dt. Im Strudel) Ausgewählte Reden

FREMDSPRACHIGE VERÖFFENTLICHUNGEN

Sandalenträger Roman. Übers. v. Á. Csongár. Evangelischer Verlag, Berlin, 1987, 1993
Trepkarze Pax, Warszawa, 1979
Voices of dissident Auswahl. Buckwell, USA, 1989
Persophone Drama Übers. v. K. M. und C. C. Wilson

Magyar Médea
Die ungarische Medea Drama. Übers. v G.. Dubovitz, G. Kováry. 1990. 1980-91 slowakisch, serbisch, italienisch, tschechisch, lettisch, ukrainisch, polnisch, französisch, englisch

Mérleg
Bilanz Drama. Übers. v. G. Kováry, 1990
Waga Übers. v. E. Sobolewska

Die Rede zur Frankfurter Buchmesse 1999

Möchten Sie die ganze Rede des ehem. ungarischen Staatspräsidenten zur Frankfurter Buchmesse 1999 lesen, so folgen Sie bitte diesem Link:

» Rede zur Frankfurter Buchmesse 1999

Textquelle & Bildernachweis

Textquelle:
Texte wurden der nachfolgenden Homepage entnommen:

http://www.frankfurt.matav.hu/nemet/irok/goncz/elet.htm

Bildquelle:
Das Bild wurde der Homepage des Büros des ungarischen Staatspräsidenten entnommen, mit freundlicher Genehmigung:

http://www.keh.hu/index2.php?fm=3&am=3&l=e

Rede: Árpád Göncz

Frankfurter Buchmesse 1999

REDE DES Árpád Göncz, PRÄSDENT DER UNGARISCHEN REPUBLIK ANLÄSSINCH DER ERÖFFNUNG DER 51. FRANKFURTER BUCHMESSE 1999

Frau Oberbürgermeisterin Roth,
Herr Staatsminister Naumann,
Herr Vorsteher Ulmer,
Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Meine lieben Freunde !

Verzeihen Sie, wenn ich das, was ich zu sagen habe, eine im höchstem Mab e “öffentliche Angelegenheit”, mit einer “Privatangelegenheit” im engsten Wortsinn beginne: Sechseinhalb Jahre hat es in meinem Leben gegeben, die ich nicht im allgemeinen mit Büchern, sondern mit drei Büchern geteilt habe. Auf der ersten Seite fand sich jeweils der Stempel der Gefängnisverwaltung mit dem Vermerk: “kontrolliert.” Und wenn ich das Gefängnis wechselte, wurden mir die Bücher weggenommen, dann das eine, oder das andere oder aber alle drei zurückgegeben. Das eine war ein Gedichtband von Attila József, jenes Dichters, der mir am nächsten steht, das zweite ein deutscher Roman: Thomas Manns Joseph-Tetralogie, die im Wechsel eingezogen und zurückgegeben wurde, je nachdem, ob das Werk vom zuständigen Gefängnis gerade als westdeutsch oder ostdeutsch eingestuft wurde. Der dritte Titel lautete Aufzeichnungen eines Jägers, ein Erzählungsband des Russen Iwan S. Turgenjew, der glücklicherweise permanent als “Ostrusse” bewertet wurde. Meines Erachtens sind die drei Bücher – zusammen – als Literatur eingestuft worden. “Ohne Grenzen.” Der Lyrikband selbst war die innere Grenzenlosigkeit, Joseph in der Grube eine eigenartige – literarisch abstrakte – und in die Zukunft sich ausdehnende Wirklichkeit meiner damaligen Tage, Turgenjew die Stille der Birkenwälder, die Grenzenlosigkeit der Natur, deren Teil der Mensch ist, was so insgesamt die gnadenlose und gemäß der Justizterminologie “lebenslang” geplante Grenzlinie des Gefängnislebens erträglich machte und in die Unendlichkeit erweiterte.

Jawohl, wäre ich es bislang noch nicht gewesen, dann wäre ich damals zu einem “lesenden Menschen” geworden, ich, dessen zugegeben ständig sich wandelndes “Literaturbild” schon sichtbar geworden war und dessen Qualität davon abhängig ist, welche Aufgabe er der Literatur zuweist.

Ich erwarte von ihr, dab sie meine Welt erweitert.

Die Welt des menschlichen Geistes, daran glaube ich, ist zeitlos und universal. Ihr Ursprung reicht zurück bis zum gemeinsamen Urerlebnis, als die blutig untergehende und am Morgen in ihrer ganzen Herrlichkeit wiedergeborene Sonne und die Königin der Nacht, der Mond, in unseren Ahnen das Bild der Götter und des Jenseits haben entstehen lassen. Eingebüßt hat sie ihre Zeitlosigkeit und Universalität offensichtlich damals, als der Mensch erstmals den Versuch unternahm, sein Erlebnis in Worte zu fassen. Das Instrument dazu war die Sprache, und sie ist mehr als eine gegliederte Anhäufung von Lauten, denn all ihre Wörter hängen vom benachbarten Wort ab, und die Gesamtheit der Wörter bilden nolens volens die unmittelbare Welt ihres Benutzers in Abgrenzung zu der anderer ab. Das ausgesprochene, doch insbesondere das niedergeschriebene Wort, falls es an einen anderssprachigen Menschen gerichtet wird, ist auf die Übersetzung angewiesen. Das heißt, es muß in Einklang gebracht werden mit dem Schriftbild der anderen Sprache, sofern uns daran gelegen ist, daß der Anderssprachige in unseren Worten das gleiche ebenso wahrnimmt wie wir selbst.

Die Frankfurter Buchmesse ist ein gigantischer Marktplatz der geschriebenen Worte. Hier wollen wir unsere Vergangenheit und unsere Gegenwart, deren unmittelbares Milieu, deren schöpferisch gestaltete Kopie veräußern. Ein jeder verstaut seine Worte unter dem großen gemeinsamen Busch, zieht sich zurück und lauert drauf, was der Nachbar davon auswählt und was er im Tausch dafür zurückläßt. Sein einziges Instrument ist die Überzeugung. Sachen müssen wir unter den Busch packen, die dem anderen den Eindruck vermitteln, dab sie, wenn er sie dreht und wendet, betrachtet, ihm von Nutzen sein könnten.

Das Unterpfand des guten Rufs besteht also darin, dab unsere Ware, die in Worte gekleidete Welt: die Literatur unserer Muttersprache, auch vom Käufer als Wert begriffen wird. Die Auswahl der angebotenen Werke beansprucht zweiseitige Sorgfalt und Verantwortung. Leicht können wir uns vergreifen, wenn nicht auch wir selbst die Bedürfnisse des Tauschpartners kennen, die mit unseren identisch sein oder ihnen ähneln, aber auch grundverschieden sein können.

Der größte Teil der auf dem Markt, auf diesem Markt, erscheinenden Tauschpartner sind Benutzer der heutigen Weltsprachen. Ich meine nicht, dab das Ungarische hier alleinstehend wäre: innerhalb der uralaltaischen Sprachen gehört es zum obugrischen Zweig der finnisch-ungrischen Sprachfamilie. Doch sein Gebrauch ist eng umgrenzt, auch mag es jünger sein als die gegenwärtigen Weltsprachen. Es ist bildhafter und steht dem Ursprung der Sprachen näher. Das Ungarische befindet sich in Opposition zu den Weltsprachen, deren drahtige Begrifflichkeit die wichtigste Quelle einer jeden Sprache, das Bild, fast schon überlagert. Das metaphorische Element ist ein Vorzug und Nachteil zugleich. Ein ungarischer Schriftsteller vermag nur schwer einzuschätzen, ob seine Aussage in der Übersetzung den gleichen Inhalt vermittelt, wie er ihn mit Hilfe seiner sprachlichen Mittel so selbstverständlich artikuliert hat: von Jahrhunderten oder heute unabhängig vom Stoff oder der Art zu schreiben. Denn aus seiner Sprachhaut kann er nicht schlüpfen, vergebens würde er versuchen, ein anderer zu sein, als er ist.

Ich behaupte nicht, Sprache und Aussage des ungarischen Schriftstellers würden sich in einer sich beschleunigenden Welt nicht in rasantem Tempo an zusehends homogene Erwartungen der Leser anpassen, werden doch Leben und Worte des Autors vom Sturm des Wandels ebenso umhergewirbelt und geformt, wie die eines jeden anderen. Doch angesichts der Unterschiedlichkeit des sprachlichen Ausgangsstoffs bleibt er selbst im Wirbel des gleichen Sturms ein anderer. Der universale Wert seines literarischen Anliegens verbirgt sich gerade darin, in seiner lokalen Glaubwürdigkeit, in jenem Mehr an Neuigkeit, in seiner speziellen Atmosphäre und Farbgebung, die er der Universalität des menschlichen Geistes hinzufügt. Denn eines sollten wir nicht vergessen: Jede wahrhaftige Werk ist von vornherein ortsgebunden. Das heißt, es ist provinziell, es hat Platz auf dem Schauplatz eines einzigen Dorfes, eines einzigen Stockwerks in einem einzigen Mietshaus eines städtischen Außenbezirks. Und gerade die Tatsache, dab es nicht unbegrenzt und hinsichtlich seiner Herkunft sehr wohl ortsgebunden ist, macht die Wahrhaftigkeit des Werks aus.

Im Bewußtsein all dessen empfehle ich heute in einem Land, in dem eine indoeuropäische Sprache gesprochen wird, ungarische Literatur einem jeden, der bereit ist, im anderen den gemeinsamen menschlichen Geist zu erkennen. Das selbst unbekannt Bekannte, das er jetzt bestaunt. Im Spiegel unserer Augen wird er, so hoffe ich, diese andersartige Welt liebgewinnen.

Erlauben Sie mir, meinen Dank dafür auszusprechen, dab ich als Staatspräsident Ungarns, als ungarischer Schriftsteller zu Ihnen eingeladen worden bin und auf diese Weise als Ihr Gast ein Teilnehmer und Zeug dieses aufregenden und gemeinsamen geistigen Abenteuers sein darf.

Als Präsident seit nunmehr fast zehn Jahren und als Schriftsteller seit nunmehr fast dreib ig Jahren erfährt er die Macht des gesprochenen und geschriebenen Wortes, bemüht sich, Nutzen darus zu ziehen und seine Glaubwürdigkeit zu mehren. Gerade hier in Frankfurt, wo wir Ungarn dank Ihrer Freundlichkeit Ihr Ehrengast sein dürfen, genauer gesagt, das ungarische Wort, das seine Grenzen zu sprengen sucht.