PRESSESTIMMEN
Dolomiten Interview vom 22.09.2004:
Von kleinen Wünschen, großem Denken und dem Warten auf das Leben
Die Tarnkappe suchen und finden
Das Haus Nummer 1 am Peter-Glückh-Platz im Zentrum von Mals ist das Apothekerhaus. Ein stattliches Gebäude, in dem außer der Heilkunst manch andere Kunst lebendig ist. Zum Beispiel die Schreibkunst: Der Apotheker Johannes Fragner-Unterpertinger schreibt Romane, Erzählungen und Kurzgeschichten. Unter dem Namen Hans Perting. Belesen und gesprächig wie er ist, sind seine Geschichten voller Esprit und Überraschungen.
„Dolomiten“: Sprechen, Formulieren, schreiben liegt Ihnen. Sie sind kompetent und – wie ich meine – mit Freude dabei. Nun gelten die Vinschger nicht gerade „von leichter Zunge“. Woher kommt Ihr Talent?
Johannes Fragner: Sofern man überhaupt von Talent sprechen kann, und nicht eher von Belastung… Ich bin nämlich logorrhoisch veranlagt, leide also an pathologischem Redefluss, und daher rührt wahrscheinlich auch mein unstillbarer Schreibfluss. Spaß beiseite, wenn Talent vorhanden ist, habe ich es von der Großmutter mütterlicherseits geerbt, von der Hilda Preindlsberger aus Glurns, Richterstochter, hochbegabt, hochintelligent. Auch meine Eltern waren immer gute Geschichtenerzähler. Und eine Kindheit voller Märchen und Geschichten ist prägend. Auch lange und ausdauernde Kopfarbeit steht hinter jedem Schreibprozess.
„Dolomiten“: Der „Feuerbusch„, erschienen 2000, hat Tempo. Die Art Protokollform wirkt suggestiv, so dass man vergisst, dass es sich um ein Spiel handelt.
J. Fragner: Protokollform gefällt mir nicht. Vielmehr versuche ich, weil ich ja nicht ums Maul schreiben muss, die Sprache dem Inhalt anzupassen. Im „Feuerbusch“ wollte ich den geographischen Weiten sprachlich gerecht werden. Solche habe ich in Peru erlebt, ich meine die geistigen Weiten. Und in solchen Weiten hat viel Platz.
„Dolomiten“: Vieles, was literarisch von Wert ist, transformieren Sie.
J. Fragner: Dieses Wertvolle ist für mich. das Ausschlaggebende. Über das Schreiben setze ich mich mit dem auseinander, was mein Leben erfüllt. Gedanken zum Leben des Menschen an sich und zu meinem eigenen.
„Dolomiten“: Heuer ist „Des Purpurhutes“ erschienen, nach dem „Feuerbusch“ und dem „Kranich„. Sie holen weit aus, auch die Provinz bringen Sie ein, Kaltern, Vinschgau. Braucht es solche Bodenhaftung?
J. Fragner: Wahrscheinlich ja. Im Sinn von „fester Boden“. Von dem man ausgehen kann. Und ich werde nicht müde, den ehemaligen ungarischen Staatspräsidenten Dr. Àrpàd Göncz zu zitieren, als er 1999 die Frankfurter Buchmesse eröffnete: „Gute Literatur muss die Welt erweitern. Das gelingt der wahren Literatur, weil sie ortsgebunden ist. Gute Literatur ist immer provinziell, spielt in einem Dorf, in einem Haus, in einem Stockwerk. Nur wer sich dem Besonderen zuwendet, kann darin auch das Allgemeine finden.“ Unser Verlagspräsident Dr. P Bruno Klammer formulierte fast zeitgleich dieselben Gedanken, formulierte und gründete einen Verlag, der „Provinz-Verlag“ getauft wurde.
„Dolomiten“: Sie erwähnen den Provinz-Verlag.
J. Fragner: Ich möchte nicht nur selbst schreiben, sondern auch andere unterstützen. Der Provinz-Verlag ist eine soziale Genossenschaft ohne Gewinnausschüttung. Und als Mitglied des Provinz-Verlages bin ich auch Mit-Verleger. Dann gibt es noch die Hans-Perting-Buchwerkstatt, wo unabhängig Autoren herausgebracht werden. Die Bücher gibt es nicht im Buchhandel, und die Buchwerkstatt ist eine Starthilfe für das erste Buch.
„Dolomiten“: Ihr Erzählton hat etwas Leichtes, Schwereloses. Doch gibt es ein durchdachtes Konzept für die literarische Form.
J. Fragner: Mein Versuch ist es, Sprache und Inhalt in Übereinstimmung zu bringen. Entsprechend zu den landschaftlichen Weiten des „Feuerbuschs“, musste ich zum Beispiel im „Kranich“ die kleine, karge und
eben auch wortkarge Welt, die „fünf Stunden lang ist“, in einer aufs Äußerste verknappten Sprache beschreiben. Diese kleine Welt existiert in einem imaginären Seitental des Vinschgau. Im Sinne von Göncz sind Überschaubarkeit und Urbanität mit im Spiel, wenn etwas dauern soll.
„Dolomiten“: Vom Stoff her ist der „Kranich“ fast volksstückmäßig angelegt. Grafen, Schmuggler, Pfarrer, unehelicher Sohn …
J. Fragner: Es sind Randfiguren. Weil Rand-, Grenz-, Minderheitensituationen stärker herausfordern als der Normalfluss der Dinge. Ich glaube, dass auch durch Nebenfiguren die Hauptfiguren Farbe bekommen: Dem Raetho Klammsteiner, in seiner kleinen Welt zum Beispiel, offenbart sich auch der Sinn der Geschichte, des Lebens. Ich halte es mit Dr. Göncz und bin überzeugt, dass gerade Lokalkolorit den Stil schafft. In der neueren Literatur des Vinschgau fällt überhaupt die Liebe zum Eigenen, zum Regionalen auf. Es ist eine selbstbewusste Annahme der Lokalgeschichte. Bei Angerer, Baldauf-Kraushaar, Müller etc. – jeweils unter anderen Perspektiven …
„Dolomiten“: Und dann sind es die Figuren, die das erste Interesse des Lesers auf sich ziehen.
J. Fragner: Stimmt. Und deshalb schreibe ich beispielsweise in allen meinen Büchern einen Refrain: Nach welchen Mustern entwickelt sich ein Leben? Gibt es gute oder böse Menschen? Sind es die Umstände, die einen Menschen zu einem guten oder bösen Menschen machen? Dieser Refrain wiederholt sich. Im Übrigen geh‘ ich selber ja mit offenen Augen und Ohren durchs Leben. Ich bin einer, der das, was geschieht, auf eigene Weise durchdenkt, bearbeitet, verarbeitet. Ich versuche zu erkennen, in welchen wechselseitigen Bezügen Menschenleben ablaufen, was das Leben mit uns treibt, wohin es uns treibt. Als Erzähler beschreibe ich dann das Schicksal solcher Figuren. Auch aus der Geschichte schöpfe ich. Das bietet sich an. Und die Gefühle des Lesers speisen sich aus der Anteilnahme am Erleben und Geschick der Figuren.
„Dolomiten“: Die Muster des Lebens: Eigentlich sind Ihre Protagonisten durchwegs hochmoralisch, geistreich. Modrow ist Kriminalist, Pomella ist „Schuldiger“, am Ende auch Raetho Klammsteiner …
J. Fragner: Was ist Moral? Das ist die Frage. Die eigentliche Moral schreibt das Leben. Das Leben selbst ist ein ethischer Verlauf von Zusammenhängen, Stimmigkeiten, Unstimmigkeiten … Leben ist Liebe, Hass, Rache, Verzeihung … Ich stelle mir und dem Leser die Frage, ob es „Muster“ gibt, Lebensmuster, ob es Zufälle gibt, Schicksal, Geschick, Zusammenhänge? Der Leser hat es ja beim Verstehen der Figuren zu einem wesentlichen Teil nicht nur mit Fremdem, sondern auch mit sich selbst zu tun.
„Dolomiten“: Da komme ich auf die Mystik und die Mythen in Ihren Büchern. Die Muma Veglia im „Kranich“ fällt mir ein, der Inka-Mythos im „Feuerbusch“, die Zahlenkombinationen im „Purpurhut“.
J. Fragner: Auch in den mystischen Zahlenspielen der Völker erkenne ich Muster und Zusammenhänge, vielleicht auch ein höheres Wirken des „unbekannten Gottes“. Stichwort Clavicembalo ben temperato von Johann Sebastian Bach – Aufbau der Kollagenstruktur unserer Haut. Die Fibonaccizahlen. 4:2:1-Resonanzen im Weltall. Auch ist in meinen Büchern kein Name nur zufällig verwendet: Vittorio = Viktor = der Sieger. Diotallevi = Gott ziehe dich auf. Raetho = der Räter. Balthasar = Gott schütze dein Leben. Abel = der Hauch, die Vergänglichkeit. Noelle =die Botschafterin. Giovanni, Johannes = Gott ist gnädig.
„Dolomiten“: Nun ist zum Beispiel die Situation des Walter Pomella ziemlich surrealistisch, auch absurd: Das Unsichtbar-Werden, die Mistwürmer, die Kerker-Situation.
J. Fragner: Es ist wie im Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein. Alle Geißlein findet und frisst der böse Wolf. Nur das siebte Geißlein, das sich im Uhrenkasten versteckt, findet er nicht. Der Uhrenkasten wird für mich zum Symbol von Raum und Zeit. Im Uhrenkasten ist das Geißlein eben außerhalb von Raum und Zeit. Und so kann es der böse Wolf nicht finden. Also erfinde ich für Walter Pomella als Geburtstagsgeschenk eine Tarnkappe, die ihm der mythische König Laurin schenkt, damit sich Pomella in Zeiten der Irrung und Wirrung zurückziehen kann. Um innehalten zu können, nachzudenken, zu reflektieren. Die Tarnkappe ist der Uhrenkasten, der in den Lebenssituationen einfach da ist. Diese Tarnkappe, die jeder ein bisschen in sich suchen und finden sollte, hilft an der Grenze zwischen dem Diesseits- und dem Jenseitsland. Sie ist hilfreich für eine Antwort auf die Frage, ob und wie sich das Leben entwickelt. Und der Autor kann da eingreifen, er kann ironisieren, Systeme, Ambivalenzen aufs Korn nehmen.
„Dolomiten“: Eine alte Frage ist, ob die Inszenierung der Figuren Auseinandersetzung mit der eigenen Personalität bedeutet.
J. Fragner: Mir geht es um die Auseinandersetzung mit dem Menschen. Mit dem Leben des Menschen, mit seinen Freuden, mit seinem Leiden. Der Mensch ist interessant. „Ölbaum und Zypresse“ war mein erstes veröffentlichtes Werk, da ist Autobiografisches drinnen. Ein autobiografisches Werk, eines, ist vielleicht legitim. Aber die reine autobiografische Literatur halte ich für eine unerträgliche Nabelschau. Ich will Dr. Àrpàd Gönczs Worte verfremden: Wer sich nur dem eigenen Nabel zu wendet, findet weder allgemein Gültiges noch Besonderes. Wollte man nur autobiografisch schreiben, müsste man ein genialer Autor sein, und der bin ich nicht.
„Dolomiten“: Es fällt auf, dass Religiosität, Religion, religiöse Institutionen stark vertreten sind. Affinität oder geistige Waffe?
J. Fragner: Beides. Affinität und geistige Waffe. Man nimmt das Wort „Gott“ leicht in den Mund. Schon als Kind war ich fasziniert, wenn ich gehört habe, dass die alten Römer, nachdem sie all ihren Göttern geopfert hatten, am Ende der Zeremonie auch noch dem „Unbekannten Gott“ dankten und opferten. Diesen „Unbekannten Gott“ frage ich, ob es ihn gibt, wo er ist, nach welchen Vorgaben und Mustern sich ein Leben entwickelt Ich kenne die Bibel recht gut, ich habe mich durch viele Werke über die großen und die vielen kleinen Religionen gelesen. Fast alle diese Bücher sind durchtränkt vom „Unbekannten. Gott“. Den ich lieben kann und hassen, zugleich.
„Dolomiten“: Stichwort Liebe: Liebesszenen bekommen Sie schön hin. Ästhetisch, möchte ich sagen.
J. Fragner: Ich war zeit meines Lebens Romantiker. Und ich bewahre mir die Sensibilität, die Fähigkeit, bei einem wundersamen Sonnenaufgang betroffen zu sein, beim Betrachten eines Tautropfens auf einer wunderbaren Blüte, beim Lächeln eines Kindes, beim betörenden Blick einer schönen Frau, beim Verlöschen eines Lebens …
„Dolomiten“:Überhaupt haben Ihre Bücher ein unverwechselbares Kolorit: Melodie, Denken auf mehreren Schienen, verschiedene Disziplinen.
J. Fragner: Eine Grundlehre meines verehrten Lehrers Dr. P. Bruno Klammer lautet: Zusammenhänge erkennen, denken auf mehreren Ebenen. Aber nicht da stehen bleiben, sondern noch vernetzen, verbinden. Und wichtig: überprüfen, was geht. Also Mögliches anpacken, Unmögliches ausscheiden. Das ist spannend. Und was die Melodie betrifft: in einer Kritik ging die Rede von „Singsang“.
„Dolomiten“: In Mals sind Sie nicht nur der Apotheker, der schreibt, Sie kümmern sich auch eingehend um Denkmalpflege. Zurzeit um die Restaurierung des Fröhlichsturms. Aus den Büchern weiß man, dass Sie von der Geschichte sehr angetan sind.
J. Fragner: Mein Credo hierzu ist im „Kranich“ niedergelegt. Ganz am Ende, im allerletzten Absatz heißt es: „Wir müssen versuchen, die wenigen Gesetze zu erkennen, die in den weiten Zeiträumen der Geschichte walten, und wir müssen dann auch demütig versuchen, unsere persönlichen Wünsche und Vorstellungen der größeren Erkenntnis unterzuordnen.“ Für mich ist es moralischer Auftrag, Mögliches zu versuchen. Im Beruf als Apotheker das Beste zu geben, mit Leidenschaft zu schreiben, Bücher herauszugeben, ein Kirchlein zu retten, einen mittelalterlichen Turm zu restaurieren. Das spornt mich an. Denn „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“, lässt Goethe den Engelchor singen. Und Faustens Seele dem Teufel entreißen.
„Dolomiten“: Kultur: Finden Menschen darin ihr Innerstes verwirklicht?
J. Fragner: Für mich trifft es in hohem Maße zu. Aber die Liebe, im weitesten Sinne, möchte ich auf eine noch höhere Stufe heben.
„Dolomiten“:Man weiß nicht, was Menschen umtreibt. Ihnen scheint alles leicht von der Hand zu gehen. Landläufig käme jetzt die Frage nach dem Geheimrezept.
J. Fragner: Es gibt keines. Vielleicht ist mein inneres Lächeln, das aber auch aus vielen und tiefen Abgründen stammt, mein Erfolgsrezept. Eines jedenfalls erfahre ich immer wieder: Je mehr ich gebe, desto mehr bekomme ich an Geistigem zurück.
„Dolomiten“: Was als nächstes kommt, verraten Sie das?
J. Fragner: Eine Erzählung. die im Rom des Jahres 1942 spielt.
Das Interview für die Dolomiten führte:
Claudia Theiner