Der Vinschger 6/06

Lyriktage in Mals
www.dervinschger.it: Kultur – Literatur
Brasilianische Klänge in Mals

Ferne Berge

Lucinha Cologna - Lyriktage Mals 2006
Lyriktage Mals 2006

Ich lerne zu leben
Ich lebe am orte
Bestimmt für mich selbst
Im Erinnern an mein Land

Ich lebe in meinem vergangenen Wesen
und Sein
Leben das ich ohne Rückblick
durchstreife

Ich folge den Bergen um mich
Dem unbekannten Gebirge
Dessen Zauber mir folgt
Mich schirmt und behütet
In der Macht das Leben mir hier zu zeigen

Im Bette einer eisigen Brise
Und dennoch warm
und gemütlich
Im Gefühl auf den Laken
Hingebettet zu liegen
Lager und Linnen der Hoffnung
Des Traums
Traumgestalt die die Macht hat
Mir ein Volk vorzugaukeln
Reich an Tradition und Geschichte

Oh ihr Berge des Vinschgau
Höhengekrümmt über die
Melodien
Wie auf einer Schaukel mich leiten
Weist ihr mich ein in das Wunder
Einen Ort zu achten zu lieben
In seiner Bestimmung für mich

Ich kenne das Land nicht
Das dennoch mit seiner Magie
Mich fesselt
Offen und lebendig
In meinen Gedanken

Ihr meine Berge
Ihr meine Kräfte nach vorne zu blicken
Ohne dass Angst mich quält
In meinem Antlitz zurück

Lucinha Cologna Polizeli;
aus der Lyrikanthologie, 2006

 

Lucinha Cologna Polizeli da Silva hat am 9. März mit ihren Gedichten auf Portugiesisch, mit ihrer Ausstrahlung und Natürlichkeit die zahlreichen Besucher des dritten Lyrikabends in der Bibliothek in Mals beeindruckt und erfreut. Mit einer Blumengirlande im Haar und in einem weißen, leichten Gewand lud sie die Zuhörer zum Träumen ein, wie sie selbst sagte. Lucinha ist im April 1976 in Umuarama, im Süden Brasiliens, geboren. Mit 14 Jahren publiziert sie ihre ersten eigenen Gedichte, arbeitet später als freie Redakteurin. 1998 kommt Lucinha nach Santa Maria in die Schweiz, um eine brasilianische Freundin zu besuchen, und dort lernt sie ihren Mann, Luca Cologna aus Taufers im Münstertal, kennen. 1999 heiraten sie, von 2000 bis 2001 nimmt sie professionellen Tanzunterricht an der Accademia di Ballo in Mailand, 2001 kommt Sohn Filippo zur Welt. Im Jahr 2004 startet sie eine musikalische und textliche Zusammenarbeit mit dem italienischen „cantautore“ Marco Bonino. 2005 nimmt sie, gemeinsam mit Heike Wunderer aus Prad, an der dritten Ausgabe von Poetry Slams in Bozen teil und 2005 beginnt sie das „Studium der brasilianischen Literatur“.

Passend zu Lucinha hat Manuela Klotz die in Deutsch übersetzten Gedichte vorgetragen. Lucinha hat auch auf Italienisch gelesen.

Gelungen waren zudem die musikalische Begleitung von Marcos Aurélio dos Santos mit dem Birimbau, einem uralten brasilianischen Instrument, und die einleitenden Worte von Hans Perting (Apotheker Johannes Fragner Unterpertinger).
Am 23. März um 20 Uhr wird die bereits sehr bekannte Schriftstellerin und Dramaturgin Selma Mahlknecht in der Bibliothek in Mals lesen. (dany)

Der Vinschger 5/06

Lyriktage in Mals
www.dervinschger.it: Kultur – Literatur
Noch dichter und noch innerlicher
Kathrin Mayr - Lyriktage Mals 2006
Lyriktage Mals 2006

wartendes herz

im klagen fällt das Auge nieder
und lautlos schiebt sich
unaufhaltsam
der blaue blick mit
leichter scham
durch dunkle tiefen immer
wieder

aus Lyrikanthologie, 2006, Ausschnitt „wartendes herz“ von Kathrin Mayr, Laatsch

Mals – Am unsinnigsten Abend des Jahres Lyrik vorzutragen, war ein kleines, organisatorisches Versehen, aber es war deswegen – zur Überraschung aller – noch kein Vergehen. Ob es nun Heimvorteil war für die junge Philologiestudentin Kathrin Mayr oder ob es inzwischen einen „Perting-Effekt“ gibt, kann nicht rekonstruiert werden. Der kleine Saal der Malser Bibliothek war auf jeden Fall gerammelt voll und Sibille Tschenett als Vorsitzende des Bildungsausschusses war erstaunt und erfreut. Wann hat es das schon einmal gegeben, Lyrik nur mehr im Stehen genießen zu können?! Die nicht einmal 22 Jahre junge Kathrin Mayr aus Laatsch sah sich fast 70 Zuhörern – die -innen überwogen natürlich – gegenüber und stellte ihre persönlichen „Gratwanderungen“ expressiv und selbstbewusst dem Faschingstreiben gegenüber. Es war Gernot Niederfriniger vorbehalten, als musikalischer Begleiter an Harfe und Hackbrett die Zuhörer aus düsteren, „dunklen Tiefen“ zu holen. Lucinha Cologna Polizeli, die Brasilianerin, ist „den Bergen gefolgt“ und hat den Vinschgau über die Val Müstair betreten. Verheiratet mit Luca Cologna lebt sie in Prad. Sie wird am 9. März 2006 in der Malser Bibliothek den Zuhörern einen lyrischen Blick in ihre „alma“ (Seele) erlauben. (s)

Lyriktage Mals 2006

Lyriktage Mals 2006 - dichter innen lesen

„Dichterinnen lesen, dichter innen lesen, lesen innen Dichter, Dichter innen lesen, Dichter lesen innen, innen lesen Dichter…“

6 junge Frauen stellen in Mals von Februar bis April ihre lyrischen Arbeiten vor… Für mehr Informationen bitte unten stehenden Link klicken.

Lyriktage Mals 2006
Eröffnung

9. Februar 2006 um 20:00 Uhr, Bibliothek Mals

Grußworte:
Dr. Sabina Kasslatter-Mur,
Landesrätin für Kultur

Dr. Stella Avallone,
Direktorin des Österreichischen Kulturforums des Generalkonsulats Mailand

WER?
&
WANN?

Tanja Raich
(Lana und Wien) – am 9. Februar

Kathrin Mayr
(Laatsch und Wien) – am 23. Februar

Lussy Cologna-Polizeli
(Prad am Stilfser Joch und Brasilien) – am 9. März

Selma Mahlknecht
(Latsch und Wien) – am 23. März

Maria Raffeiner
(Tschengels und Wien) – am 6. April

Sandra Stigger
(Reschen und Urbach) – am 21. April

Jede Lyrikerin gestaltet ihre Lesung nach eigener Vorstellung.

WO?
&
Zeit?
Bibliothek von Mals
immer um 20:00
Dauer ca. eine halbe Stunde
Eintritt FREI
Ehrenschutz

Den Ehrenschutz der Veranstaltung haben die Generalkonsulin der Österreichischen Republik in Mailand, Eva-Maria Ziegler, und das Kulturforum Mailand des Österreichischen Generalkonsulats übernommen.

Österreichisches Generalkonsulat Mailand - forum austriaco di cultura

Partner
&
Links

Hans Perting - Buchwerkstatt
Hans Perting – Buchwerkstatt »

Bildungsausschuss Mals - Weiterbildung in Südtirol
Bildungsausschuss Mals – Weiterbildung

  • Präsidentin des Südtiroler Landtags
    Dr. Veronika Stirner-Brantsch
  • Landesrätin für deutsche Kultur
    Dr. Sabina Kasslatter-Mur
  • Präsidentin des Beirates für Chancengleichheit Landtagabgeordnete
    DDr. Julia Unterberger

Teleradio Vinschgau
Teleradio Vinschgau: www.teleradiovinschgau.it

Druckerei A. Weger des Andreas von Mörl
Druckerei A. Weger des Andreas von Mörl
Universitätsbuchhandlung Weger
www.weger.net

Lyrikanthologie

Begleitend zu den einzelnen Lesungen wurde von Hans Perting eine Lyrikanthologie mit jeweils drei Gedichten der jungen Frauen in der Hans-Perting-Buchwerkstatt herausgegeben. Dieser kleine Gedichtband wird bei den Lesungen gegen eine freiwillige Spende erhältlich sein.

STOL 23.01.2006

dichter innen lesen -Lyriktage in Mals
www.stol.it: Kultur – Literatur
Lyriktage Mals 2006
stol.it vom 23.01.2006

dichter innen lesen – Lyriktage in Mals

„Dichterinnen lesen, dichter innen lesen, lesen innen Dichter, Dichter innen lesen, Dichter lesen innen, innen lesen Dichter…“ Unter diesen verdichteten Mottos und Wortspielen werden sechs junge Frauen aus dem Vinschgau oder mit Vinschgau-Bezug von Februar bis April in Mals ihre lyrischen Arbeiten vorstellen.

Die Lesungen finden in der Bibliothek von Mals um 20 Uhr statt und dauern ca. eine halbe Stunde. Jede Lyrikerin gestaltet ihre Lesung nach eigener Vorstellung. Der Eintritt ist frei.

Anbei finden Sie die einzelnen Termine:

Tanja Raich, Lana und Wien – 9. Februar

Kathrin Mayr, Laatsch und Wien – 23. Februar

Lussy Cologna-Polizeli, Prad am Stilfser Joch und Brasilien – 9. März

Selma Mahlknecht, Latsch und Wien – 23. März

Maria Raffeiner, Tschengels und Wien – 6. April

Sandra Stigger, Reschen und Urbach 21. April

Parallel zu den Lesungen wurde von Hans Perting eine kleine Lyrikanthologie mit je drei Gedichten der jungen Frauen in der Hans-Perting-Buchwerkstatt herausgegeben. Dieser kleine Gedichtband wird bei den Lesungen gegen eine freiwillige Spende erhältlich sein.

Den Ehrenschutz der Veranstaltung haben die Generalkonsulin der Österreichischen Republik in Mailand, Eva-Maria Ziegler, und das Kulturforum Mailand des Österreichischen Generalkonsulats übernommen.

Montag, 23. Januar 2006
Kategorie: Kultur – Literatur

Link:
www.stol.it/nachrichten/
artikel.asp?SID=40873691879646615&KatId=be&ArtId=72273

Veranstaltung:
» Lyriktage Mals

Der Vinschger 4/06

Lyriktage in Mals
www.dervinschger.it: Kultur – Literatur
dichter innen lesen – Lyriktage in Mals
Lyriktage Mals 2006
dervinschger.it vom 23.01.2006

tolerante Toleranz

toll, er rannte
wie rannte er toll
durch tolerante Menschen

dieser Troll, lacht am Rande
am Rand steht der Troll
und fühlt sich allein

lehr Toleranz, sagte man ihm
lehr sie und toll dich zum Rande
für dich ist kein Platz

Tanja Raich,
aus der Lyrikanthologie, 2006

Mals – Tanja Raich war die erste der sechs jungen Frauen, die bei den Lyriktagen in Mals in der Bibliothek gelesen hat, bei der Eröffnung (unter anderem auch oben abgedrucktes Gedicht). Am Donnerstag, 23. Februar, um 20 Uhr, wird Kathrin Mayr aus Laatsch ihre Gedichte vortragen.
Tanja Raich aus Lana hat mit ihrer samtigen Stimme und tiefem Ton den Zuhörer bewegt. Passend zu ihrer Lyrik spielte eine leise Musik auf Tonband, Lichtbilder wurden vorgeführt. Sie soll das erste Mal öffentlich gelesen haben, es ist ihr durchaus gelungen. Sie ist 1986 geboren, studiert Germanistik und Geschichte an der Universität in Wien. Tanja Raich hat einige Gedichte in Anthologien veröffentlicht.
Wieso gibt es die Lyriktage in Mals? Dank Hans Perting, selbst Autor und Literaturkenner und, vor allem, Literaturliebhaber. Bekannt ist Hans Perting auch als der Apotheker von Mals, Johannes Fragner Unterpertinger. Mitunterstützt wird er vom Bildungsausschuss Mals und dessen Vorsitzender Sibille Tschenett, die zugleich Gemeindereferentin in Mals ist. Sie hat bei der Eröffnung Gruß- und Dankesworte gesprochen.
Die Landesrätin für Kultur, Sabina Kasslatter Mur, freute sich über die Veranstaltungsreihe in Mals und dass dieses erste „Malser Festival“ ausschließlich weiblich besetzt sei. Südtirol könne stolz sein auf das literarische Schaffen, da es verhältnismäßig viele Autoren gebe. Es sei dies ein Mittel zur Sprachförderung: „Auch ich setze viel darauf“, sagte sie. Grußworte überbrachte auch Stella Avallone, die Direktorin des Österreichischen Kulturforums Mailand des Österreichischen Generalkonsulats.
Sehr gut eingeleitet hat Hans Perting die Lyriktage 2006 in Mals. Es sei dies ein Versuch für den Bildungsausschuss Mals und die Hans-Perting-Buchwerkstatt, ein derartiges Symposium zu organisieren. „Wir wollen ein kleines Literatur-Forum sein und ein kleines Literatur-Forum bieten“, sagte Perting. Mit einem Streifzug durch die Geschichte der Lyrik veranschaulichte er deren Begriff und Werdegang.
Lyrik stammt aus dem griechischen „lyra“ (gesungenes Lied). Weiters erwähnte er deren Bedeutung im Mittelalter mit dem höfisch-ritterlichen Minnelied und der Spruchdichtung bis herauf nach der Zeit nach Martin Luther über den Barock bis hin zur modernen Lyrik. Die Gattung Lyrik ist erst seit dem 18. Jahrhundert gebräuchlich, lyrische Texte werden auch als Gedichte bezeichnet. Über die Literaturclips des 21. Jahrhunderts sprach Hans Perting ebenso, die Lyrik der heutigen Zeit nach der Digitalisierung. Er berichtete zudem über eine Umfrage in Deutschland des Meinungsforschungsinstitutes „polis“ vom März 2005. Die Lyrik schnitt dabei nicht gut ab.
„Zu hören und zu lesen, was junge Frauen von heute zu sagen haben, und wie sie es uns mit ihrer Lyrik mitteilen“, das bietet dieses kleine Kulturforum in Mals, das am ersten Abend aber schon ganz groß gewirkt hat. Dicht gedrängt saßen die Leute auf den Stühlen, auf Bänken, auf dem Boden oder standen und hörten gebannt zu. Eine Frau aus Mals sagte am Ende der Lesung: „Schade, ich hätte noch länger zugehört.“
Ruth Schönthaler hatte den Raum dekoriert; sie ist in der Bibliothek Mals tätig. Das Motto „dichter-innen-lesen“ stammt von Autorin Selma Mahlknecht. Nach den jeweiligen Lesungen wird die Lyrikanthologie gegen eine freiwillige Spende angeboten. (dany)

Der Vinschger 3/06

Lyriktage in Mals

www.dervinschger.it: Kultur – Literatur
dichter innen lesen – Lyriktage in Mals

Lyriktage in Mals beginnen

Mals – In der Bibliothek in Mals werden am Donnerstag, 9. Februar, um 20 Uhr die „Lyriktage Mals 2006“ eröffnet. Sechs junge Frauen stellen ab dem 9. Februar bis Ende bis April in zweiwöchigem Rhythmus ihre lyrischen Arbeiten vor. Den ersten Lyrikabend am 9. Februar bestreitet Tanja Raich (Lana und Wien). Die weiteren Abende (immer mit Beginn um 20 Uhr in der Bibliothek) finden am 23. Februar (Kathrin Mayr, Laatsch und Wien), am 9. März (Lussy Cologna-Polizeli, Prad am Stilfser Joch und Brasilien), am 23. März (Selma Mahlknecht, Latsch und Wien), am 6. April (Maria Raffeiner, Tschengels und Wien) und am 21. April (Sandra Stigger, Reschen und Urbach) statt. Jede Frau gestaltet ihre Lesung nach eigener Vorstellung.
Veranstalter der Lyriktage sind Hans Perting–Buchwerkstatt (Johannes Fragner Unterpertinger) und der Bildungsausschuss. (sepp)

Sandra Stigger

Sandra Stigger - rabentochter
  • geboren 1987, mit fünf Monaten von den Eltern zu einer Pflegefamilie abgegeben.
  • Grundschule in Urbach (BRD), Realschule in Plüderhausen.
  • Im Jahr 2000 Unterbringung in einem Kinderheim.
  • 2002 Auffindung der leiblichen Eltern.
  • 2002-2003 Hotelfachschule in Meran, 2004-2005 Handelsoberschule in Mals.
  • Sandra Stigger lebt und arbeitet derzeit wieder in Urbach in Baden Württemberg.

Veröffentlichung:

  1. „rabentochter“, 2005, in der Hans-Perting-Buchwerkstatt (Lyrikbändchen)
  2. Veröffentlichung dreier Gedichte in der Lyrikanthologie „dichter-innen-lesen“, die im Jänner 2006 in der Hans-Perting-Buchwerkstatt erscheinen wird.

Rezension – Mahlknecht

SELMA MAHLKNECHT

Betrachtungen über den „Kranich“
von Hans Perting

Der Kranich - Hans Perting„Die Welt ist fünf Stunden lang.“ Bereits mit dem ersten Satz werden die Maßstäbe gesetzt, welche die Erzählung bestimmen werden: Schrittlängen, Atmung, Vogelflug, Aussaat, Ernte – eingepfercht in den engen Begrenzungen eines Tales, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint, zumindest nicht für jene, die sich an die Regeln halten, ihren Hut ziehen und die Handfessel des Rosenkranzes durch ihre Finger gleiten lassen.
Die Welt ist fünf Stunden lang. Wir folgen dem jungen Raetho in diese Welt, aus der er sich Stück für Stück hinaustastet, die er in ihrer Beschränktheit zu begreifen beginnt, deren Umklammerung ihn aber nicht loslassen wird, niemals, selbst dann nicht, als er sie wie eine überlebte Haut abgestreift zu haben meint, als er hinauswächst über seine fünf Stunden bei gutem Schritt, als er die Unendlichkeit da draußen erkennt und letztlich in dieser Unendlichkeit wieder dieselben Grenzen von vorher, die er überschreiten muss, wieder und wieder, bis zum Schluss.
Aber zunächst ein Wort zur Form des Hörbuchs. In den letzten Jahren hat das Hörbuch einen beachtlichen Aufschwung erlebt, wobei die unterschiedlichsten Faktoren eine Rolle spielen, etwa, dass so auch während des Autofahrens, Bügelns oder Badens „gelesen“ werden kann, und das allein oder zu mehreren ohne den mühsamen Streit darum, wann umgeblättert wird. In erster Linie vermittelt das Hörbuch das wohlige Gefühl des Erzählt-Bekommens, als säße man als Kind zu Füßen des Märchenonkels und lausche andächtig. Im Falle des „Kranichs“ heißt der Märchenonkel Karl Heinz Macek, und seiner warmen Stimme vertraut sich der Leser gerne an. Macek gelingt es auf beeindruckende Weise, nicht nur verschiedene Stimmungen, sondern auch unterschiedliche Sprechnuancen, Tonlagen und Dialekte zu vermitteln: vor dem inneren Auge des Hörers entsteht ein weiter Klangkosmos, getragen einzig von wenigen Musikeinsprengseln und eben der farbenreichen Erzählweise Maceks, in der die Figuren in plastischer Lebendigkeit spürbar werden. Seine interpretatorische Brillanz wird lediglich von einigen bedauerlichen Ungereimtheiten in der Aussprache getrübt: zwanzi“ch“, dann aber wieder Köni“g“, „Ku“elle (statt „Kwelle“) usw., auch die wechselnde Aussprache des Namens Raetho (manchmal „Räto“) irritiert zuweilen.

Die Welt ist fünf Stunden lang. Es ist eine nahezu mythische, archetypische Welt, in die uns Hans Perting führt. Schroffe Landstriche, grobe Menschen, wortkarg, denn was gibt es schon zu reden, und auch die Erzählweise selbst folgt diesem Motto: über weite Strecken erzählt sie lakonisch und ohne Sentimentalität vom Leben in seiner Härte, bleibt in den Formulierungen sachlich und fast distanziert, wodurch eine umso authentischere Vermittlung dieses Lebensgefühls entsteht, das solche Bergtäler prägen mag. Als Kunstgriff wird die Wiederholung gesetzt, die etwa schon mit dem ersten Satz einsetzt: Die Welt ist fünf Stunden lang. In einer über mehrere Abschnitte hinweg anwachsenden Klimax jedoch wird diese Formulierung aufgeweicht, relativiert, wie eben diese Wahrheit auch in Raetho zu wanken beginnt. Der Autor macht sich somit zum Sprachrohr der Hauptfigur, erzählt dessen Sichtweise der Welt und verzichtet auf die Allwissenheit der auktorialen Perspektive – allerdings nicht immer. An manchen Stellen bricht das dichte Erzählgefüge auf, nahezu lyrische Elemente werden eingestreut, teilweise auch Ansätze zu philosophisch-essayistischen Betrachtungen. Nicht immer sind diese gleich gelungen – etwas fragwürdig etwa das Zitieren aus „Faust“, und zwar nicht an sich, sondern im konkreten Zusammenhang mit der gewählten Sprache, hier mischt sich zu sehr gelehrter Duktus mit der bodenständigen Ausdrucksweise des Bergvolks, was zu etwas abrupten Brüchen mit der Kohärenz des Textes führt. Überhaupt ist an manchen Stellen des Guten zuviel zu bemerken, etwa bei den vorher schon angedeuteten Wiederholungen. Werden sie zum Teil sehr wirkungsvoll eingesetzt (wie beim erwähnten Anfangssatz), wirken sie an manchen Stellen redundant, etwa bei der zunehmenden Häufung der Epitheta, die dem grenzgängerischen Valentin zugeordnet werden. Hier schleicht sich das Gefühl künstlerischer Anstrengung ein, während andere Teile der Erzählung so mühelos, nahezu „von selbst“ zu sprechen scheinen. Besonders hervorzuheben sind hier die Abschnitte über den Pfarrer Mairösl, „gran fascista“ und Wetterzauberer, eine durch und durch geglückte Figur. Hier verlässt sich der Autor auf seine Inhalte – und die Form folgt wie selbstverständlich. Zugleich entfaltet sich hier auch Pertings hintergründiger Humor am meisten, der zwar auch anderweitig aufblitzt, nie aber so frisch und augenzwinkernd wie bei dieser Figur. Dadurch gewinnt die Erzählung an Leichtigkeit, die bedrückende Enge der Berge und Köpfe wird erträglicher, und doch steht am Ende immer wieder die Flucht. Es ist eine Flucht letztlich, deren Ausgangspunkt zugleich auch ihr Ziel ist: die Heimat. Raetho aber bleibt ein Unbehauster, der keine Wurzeln schlagen kann, der nirgends Halt findet, um Wurzeln zu schlagen, an keinem Boden, an keinem Menschen. Dies zu vermitteln, ist wahrhaft gelungen – zuweilen tun sich zwischen den Zeilen Momente der Betroffenheit auf. In seinen dunklen, beengenden, aber dann doch auch wieder lichteren und meditativen Stimmungen ist „Der Kranich“ ein fein gewebter Text, der Zwischentöne anschlägt und Schattierungen erkennen lässt. Etwas schwerer tut sich der Leser mit seiner Chronologie. Lehenswesen und Faschismus, erster Weltkrieg, zweiter Weltkrieg, Tourismus und Weltvergessenheit – man wird stutzig und fragt sich, wie das zusammenpasst (selbst in der literarischen Fiktion sollte zumindest der geschichtliche Rahmen nachvollziehbar sein) Auch ist das Alter der Figuren nicht ganz klar, etwa, wann sich Raetho und seine erste Liebe kennen lernen. Nach dem ersten Weltkrieg? Aber dann müsste sie bei dem nächsten Krieg bereits über dreißig Jahre alt sein, für eine Frau damals zu alt, um noch ledig zu sein. Hier also herrscht Verwirrung, die allerdings insofern weniger ins Gewicht fällt, als die historischen Hintergründe für die Hauptthemen der Erzählung recht unerheblich sind.
Eines jedoch ist wirklich schade: Die Erzählung endet zu früh. Nach Raethos Eintritt in den Weltkrieg, als sich eine neue Geschichte und neue Figuren auftun und die Grenzen des Valanga-Tales endgültig gesprengt scheinen, erhöht der Autor das Tempo, kaum gibt es noch Zeit, um innezuhalten, schon folgt die Heimkehr mit der „Negerfrau“ und bald darauf fast ohne Umschweife das Ende. Schade, denn gerade hier bekommt man Appetit auf mehr, auf Auseinandersetzung des neuen Raetho mit seinem früheren Umfeld, das offenbar keinen Schritt weitergekommen ist in seiner Entwicklung. Ein Wermutstropfen.

Nachhaltig bleibt jedoch der Eindruck von starken Figuren, die aus ihrer Fiktion heraustreten und eine höhere Wahrheit bezeugen: die Wahrheit der vielen „Valanga-Täler“ mit ihren betenden Müttern, schweigsamen Bauern, opportunistischen Priestern, mit ihren Borniertheiten und Aberglauben, mit ihren Schmugglern und Grenzgängern und mit ihren Kranichen, von denen niemand mehr weiß.

Rezension – Nussbaumer

Rezension von
Dr. Bernhard Nussbaumer

Magazin „kulturelemente“ April 05

Der Kranich - Hans PertingMythologischer Heimatroman
Hans Perting/Karl Heinz Macek: Der Kranich. Hörbuch.
Provinz-Verlag, Brixen, 2004

Vier Jahre nach dem Erscheinen der Erzählung „Der Kranich“ hat Autor Hans Perting sein bislang erfolgreichstes Werk neu aufgelegt – als Hörbuch. Mit dem Bozner Schauspieler Karl Heinz Macek als Sprecher und mit Stücken aus der Titlá-CD „stur und tamisch“ musikalisch unterlegt, ist den Produzenten ein der ursprünglichen Fassung kongeniales Hörspiel gelungen.
Pertings Texte bieten sich dem Gehör aufgrund ihrer lyrischen Grundstimmung geradezu an, dazu kommen refrainartige, beschwörende Wiederholungen und leitmotivisch eingesetzte Dingsysmbole, die der Erzählung den Charakter eines Epos in der klassischen Bedeutung verleihen.
Im Zentrum der Erzählschleifen kehrt das Motiv der Kraniche wieder, die jedes Jahr zu einer bestimmten Zeit über den zentralen Schauplatz der Ereignisse, das versteckte Hochtal im Zentrum der Alpen, fliegen und an einem versteckten Hochmoor Rast machen.

Ein geheimnisvoller Platz, zum Beispiel wie geschaffen für Begegnungen eines heimlichen Liebespaares, wie es der junge Bauernsohn Raetho Klammsteiner vom größten Hof im Talgrund und die Comtesse Sigrun von Schloss Sonnberg, am Eingang des Tales, sind. Dass ihre Liebe keine glückliche Erfüllung findet, hat mehrere Gründe: den sozialen Unterschied, die mögliche Blutsverwandtschaft, die politischen Zeitläufe, persönliche und familiäre Schicksale.
Pertings Bilderbogen ist in einem Seitental des obersten Vinschgaus, im deutschsprachig-rätoromanischen Grenzgebiet angesiedelt und durchmisst eine Zeitspanne von den zwanziger bis in die frühen sechziger Jahre. Diese Koordinaten erlauben dem Autor, ein breites Panorama an Lokalgeschichte und Wirtschaftsgeschichte einzufangen, Glauben und Aberglauben, Familienchronik und große Politik ins Bild zu nehmen.
Da ist einmal die Bauernfamilie Klammsteiner mit Raetho – der figurativen Hauptachse der Erzählung – als einzigem Sohn, der frommen, fast schon bigotten Mutter und des gutmütigem Vaters, mit dem Onkel Valentin als Erzieher und Begleiter des Buben (wenn nicht mehr); und zum anderen die Familie des Grafen Baldur von Sonnberg, mit dessen Gemahlin Melisande, dem schwachen Stammhalter Bardolf und der lieblichen Comtesse Sigrun; und da ist außerdem der Hochwürdige Herr Anton Mairösl, Pfarrer, Doktor, Lehrer, Richter und außerdem noch cavaliere und „Granfascista“ und schon von dieser schillernden Präsenz her die heimliche Hauptfigur der Geschichte. Die Beziehungen zwischen diesen Figuren werden zusammengehalten durch die Lebensweise und die Tradition der Menschen in dieser kargen Landschaft, sie werden getragen durch die gemeinsame Sorge in einer politisch unsicheren und gefährlichen Zeit, sie werden genährt durch die gemeinsamen Hoffnungen und Anstrengungen zum Aufbau einer besseren, sichereren Zukunft. Bilden die Liebesgeschichte zwischen Sigrun und Raetho sowie die dunklen Wolken des Faschismus den Spannungshintergrund des ersten Teils des Hörbuches, ist es im zweiten Teil der Krieg mit seinen Folgen, die Heimkehr des Soldaten Klammsteiner und der Wiederaufbau nach 1945. Mit den ersten nachhaltigen Projekten zur Erschließung des Tales für Wirtschaft und Tourismus, an denen der inzwischen alt gewordene – aber ledig gebliebene – Raetho Klammsteiner maßgeblichen Anteil hat, endet die Erzählung.
Autor Hans Perting schafft in den einzelnen Kapiteln sehr akribisch komponierte Miniaturen, die von einem genau recherchierten Hintergrundwissen im angeschnittenen Themenspektrum ebenso zeugen wie von der Absicht des Autors, Handlungen und Verhaltensweisen nicht einfach einander gegenüberzustellen, sondern in allem die psychologische Deutung zu suchen. Gelegentlich erstarrt die gut gemeinte Absicht zur leicht klischeehaften Pose, gerade wenn es um heikle Themen der sozialen oder politischen Geschichte und deren „korrekte“ Darstellung geht. Doch in der Figur des schon erwähnten Pfarrers Mairösl, des eigentlichen Trägers der Geschichte, verpackt der Autor sein eigentliches Credo: Pragmatismus statt Fanatismus; den Menschen helfen, ohne sich durch ideologische Trübungen beirren zu lassen, anpacken, wo es Not tut, und das alles aus einer tief empfundenen Liebe für eine ganz besondere Landschaft und ihre Menschen.
Mit dem „Kranich“ hat Hans Perting vielleicht eine neue Lesart von „Heimatliteratur“ geschaffen, weil er weder nur dokumentiert noch kritiklos verklärt oder rundum kahlschlägt, sondern vielleicht dies versucht: aus allem Gesehenen und Geschehenen die Obertöne herauszufiltern. Diesen Ansatz könnte man „mythologisch“ nennen, und er passt wunderbar in den von Perting beschriebenen Landstrich.